Als ich 2014 meinen Führerschein machte, verschlang ich parallel dazu sämtliche Modellkataloge und Internetseiten der Hersteller. Vor allem die kleine G 650 GS Sertao von BMW schien mir ideal. Der Marketingsprech bewarb sie unter anderem mit einem „extrem leichten Gewicht von 192 kg“. Hätte ich damals schon gewusst, dass es bei BMW ein paar Jahre zuvor neben der berühmten HP2 tatsächlich auch im Einzylinderbereich ernsthaften Leichtbau gab…
Prolog: Das Luxusproblem

So dauerte es etwas länger bis ich die G 650 X Familie kennen und schätzen lernte. Kein Wunder, den Verkaufszahlen nach blieben alle X-650er weitestgehend Unbekannte. Rund 13 000 wurden von 2007 bis 2009 gebaut. Um den bewährten, aber ebenfalls überarbeiteten Rotax-Einzylinder (jetzt 53 PS) der erfolgreichen F 650 GS entstand ein gemeinsames Chassis für drei verschiedene Modelle, die bei Aprilia gefertigt wurden. Die XChallenge stellte die sportliche Enduro dar, mit langen Federwegen, einer 21/18 Zoll Radkombination und hohem Kotflügel. Die XCountry war eine niedrigere, gelände- und alltagstaugliche Variante mit 19/17 Zoll Reifenkombination. Die dritte Variante war die XMoto, eine flinke Supermoto mit 17-Zoll-Bereifung. Die XCountry war mit Abstand am erfolgreichsten, sie erhielt dank der etwas längeren Bauzeit als einziges Modell eine Modellüberarbeitung. Die Xchallenge verkaufte sich dagegen in Deutschland nur knapp 880 Mal und wurde auch nur 2007 gebaut, genauso wie die XMoto. Vermutlich waren beide zu speziell, zu teuer, hoch, oder einfach zu wenig (oder zu viel) KTM?

Nachdem ich diese schönen Mopeds also weit nach ihrer Bauzeit entdeckt hatte, kam die Sehnsucht immer wieder in Wellen zurück, inklusive der Suche nach alten Testberichten und dutzendfachem Durchlesen der „GS / Dakar vs. Xchallenge“-Beiträge in diversen Foren. Das war scheinbar auch schon vor zehn Jahren ein großes Thema und wird auch hier zwischen den Zeilen mitschwingen. Da mir das periodische Schönreden meiner G 650 GS Sertao aber immer schwerer fiel, flüchtete ich mich in die Praxis und erkundigte mich bei Julia, einer Bekannten, nach einer Probefahrt mit ihrer XCountry. Besser als nichts, und sie trug immerhin ein schickes Xchallenge-Gewand und Stollenreifen.

In der Praxis: GS versus Xchallenge
Schon beim Herausrollen aus der Garage und in den ersten Kurven waren die 30 bis 40 Kilo Differenz zu meiner GS spürbar. Fairerweise hinkt dieser Vergleich angesichts unterschiedlicher Lastenhefte etwas. Die 650 GS ist freilich auch die ältere Konstruktion, aber nicht schlechter. Als „GS“ ist sie einfach wesentlich touristischer ausgelegt. Windschild, über 300 Kilometer Reichweite, langstreckentaugliche Sitzbank, Heizgriffe, stabiler Heckrahmen aus Stahl. All das kann bei den 650 X höchstens aufwendig nachgerüstet werden (Ausnahme: Die späten XCountry hatten einen Heckrahmen aus Stahl statt Alu). Obendrein waren die (zumindest 2007) zeitgleich angebotenen GS-Modelle günstiger. Trotzdem spielen die Motorräder für mich in der selben Liga, da sie mit ein paar Investitionen schnell in den (breiten) Einsatzbereich des jeweils anderen vorstoßen. Es half aber alles nichts, nach der Probefahrt und ein paar weiteren Monaten des Hin- und Herüberlegens war es Zeit, meine GS gegen eine Xchallenge zu tauschen. Ich habe es nie bereut, denn entgegen der Optik halte ich die „X“ für fast genauso alltagstauglich, auch wenn die Sitzbank auf Reisen deutlich früher unbequem wird. Aber in allen anderen Situationen macht das Motorrad viel mehr Spaß, fährt leichtfüßig, egal ob schnelle Kurven auf gutem Asphalt, Schotter oder zerfurchter Waldweg. Im Gelände sowieso. Das beherrscht die 650 GS auch, aber bevorzugt eher die gemütliche Herangehensweise. Die Xchallenge lässt sich dagegen überall spielerisch dirigieren und folgt dem freien Blick nach vorne. Der fehlende Windschutz stört da höchstens auf längeren Autobahnetappen, die auch mit der GS wenig Spaß bereitet haben.




Umso länger ich die Xchallenge fahre, umso weniger verstehe ich den ausbleibenden Erfolg. Sehr überzeugende Alleinstellungsmerkmale waren damals das abschaltbare (und schon relativ leichte) ABS, das endurotaugliche Fahrwerk und vor allem der bereits damals dutzendfach bewährte, standfeste und sparsame Motor. Wartungsintervalle von 10 000 Kilometern waren „damals“ noch nicht selbstverständlich, für Einzylinder noch viel weniger. Damit punktet die X noch heute, weshalb sie vielleicht bis heute relativ wertstabil ist. Der Viertakter verfügt schon bei niedrigen Drehzahlen über viel Druck, im Vergleich zur GS dreht er jedoch viel freier hoch. Zumal er auch weniger Masse zu bewegen hat. Weniger Schwungmasse im Motor und weniger Gesamtmasse insgesamt. Auch die übrigen Vorzüge der Konstruktion aus Österreich haben die 2007er Rotax-Singles geerbt: Hohe Zuverlässigkeit, quasi null Ölverbrauch und niedriger Benzinverbrauch. Dieser liegt meist um 3,5 Liter, nur bei Geschwindigkeiten über 120 sind es gerne mal über 4. Weshalb auch der 9,5 Liter kleine Tank halbwegs alltagstaugliche Reichweiten von rund 220 Kilometern ermöglicht. Immerhin: 180 Kilometer bis zur Reserve sind eigentlich immer drin. Wer längere Strecken ohne Tankstopp überstehen will, muss auf Ersatzkanister oder Zusatztanks zurückgreifen. Wie bei den früheren F650 und den späteren G650 liegt der Tank schwerpunktgünstig unter der Sitzbank. Apropos Sitzbank: Diese ist im Falle der Xchallenge und XMoto eher ein blaues bzw. graues Sitzbrett. Nur bei der XCountry gab es mit einer dickeren Sitzbank und Gummi-Auflagen für die Fußrasten etwas mehr Langstreckenkomfort. Und mit Rundscheinwerfer je nach Gusto eben etwas Retro-Charme.

Bei der Xchallenge taugt dafür eigentlich alles ab Werk fürs Gelände. Vieles, was ich bei der GS nachgerüstet habe, gibt es hier serienmäßig: Ein klappbarer Schalthebel, breite und gezackte Fußrasten, ein massiver Lenker, ein guter Motorschutz. Und vieles hätte sich nur durch hohen Aufwand oder garnicht ändern lassen: Die endureske Krümmerführung, die hohe Bodenfreiheit und vor allem das Gewicht von rund 160 kg vollgetankt. Lediglich für die Reise erfordern die X-Modelle kleine Anpassungen, zum Beispiel in Form eines Gepäckträgers. Und auch wenn der 280-Watt-Lichtmaschine nicht allzu viele Verbraucher aufgedrückt werden sollten ist serienmäßig sogar eine Steckdose verbaut. Der Tacho ist ebenfalls spartanisch gehalten, bietet aber alles, was man braucht: Geschwindigkeit, zwei Tripcounter, Voltmeter, Uhrzeit. Einen Drehzahlmesser vermisst hier keiner. Was mir bei Dunkelheit besonders gefällt ist die BMW-typische, orange Hintergrundbeleuchtung.

Fast rundum perfekt
Beim Fahrwerk gehen die Meinungen sehr auseinander, was vor allem am Conti-Luftfederbein liegt, das es sonst nur in der HP2 gab und bei den 650ern nur in der Xchallenge zum Einsatz kam. Auffallend viele Federbeine waren undicht oder wurden schnell durch herkömmliche Ware ersetzt, weil die Piloten mit der Charakteristik nicht zufrieden waren. Das Ein- und Ausfedern ist deutlich schneller, die Härte lässt sich über den Luftdruck (und der unter der Sitzbank verstauten Luftpumpe) vielseitig anpassen. Von fast 7 bar bis zu 11 bei viel Gepäck oder Sozius. Ein weiterer Grund, warum viele unzufrieden damit waren. Aber wenn die Beladung halbwegs gleich bleibt, reicht es eigentlich hier alle paar Tage etwas aufzupumpen. Ein von mindestens genauso vielen aber bestätigter Vorteil soll die hohe Traktion im Gelände sein, je schneller das Tempo, desto besser. Zudem spart das Federbein etwas Gewicht gegenüber Stahlfedern. Neben dem Luftdruck ist noch eine Verstellung von „Hard“ zu „Soft“ und umgekehrt möglich. Da mein Federbein dicht hält und ich kein besonders gut geeichtes Popometer habe, fahre ich nachwievor das Luftfederbein, genauso wie die in Zug- und Druckstufe einstellbare Gabel im Originalzustand.

Abgerundet wird dieses Gesamtpaket von nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der Wartung in Eigenregie. Luftfilter, Ölfilter, Bremsen, Ventilspiel… hier ist alles machbar, was früher oder später gemacht werden muss. Ein Auslesegerät wird höchstens für das das Durchspülen des ABS-Moduls benötigt. Der einzige Nachteil ist die nachlassende Verfügbarkeit einzelner Ersatzteile, die teilweise nur noch von gebrauchten und ausgeschlachteten Maschinen erhältlich sind. Wesentliche Verschleißteile (Filter, Bremsbeläge etc.) sind jedoch Standardware, um die man sich keine Sorgen machen muss. Da der Motor nahezu baugleich in zahlreichen 650 GS verbaut wurde, dürfte hier kein Teilemangel auftreten. Obwohl sie grundsätzlich sehr zuverlässig sind, gibt es dennoch ein paar Schwachstellen. Diese wurden aber teilweise noch von Rückrufaktionen behoben, oder zumindest bekannt. Für fast alles gibt es eine dauerhafte Lösung. Siehe dazu auch die folgenden Beiträge:
- Mehr zu Wartung und Zubehör
- Mehr zu den Modifikationen meiner Xchallenge
- Die mit viel Aufwand umgebaute Xchallenge von Walter Colebatch

Die letzte (für viele die entscheidende) Bewährungsprobe im „richtigen“ Gelände hat die Xchallenge mittlerweile auch mit Bravour bestanden. Mit feinstolligen Metzeler 6 Days Extreme bereift setzte mal wieder der Fahrer (sono io) das Limit, nicht die Maschine. Zwar zählt sie auf Crosspisten mit rund 160 Kilo zu den schwereren Maschinen, aber für einen derartigen Kompromiss funktioniert sie wirklich ordentlich. Die größten Schwierigkeiten lagen im ständigen Hin- und Herschalten zwischen 1. und 2. Gang. Zumindest das wäre durch eine kürzere Endübersetzung lösbar. Ansonsten schenkt das Motorrad auch hier viel Vertrauen, der Traktormotor entschärft langsame Passagen deutlich und auch Sprünge steckt das Fahrwerk locker weg. Wettbewerbserfahrenen Piloten mag das zu wenig hardcore sein, für mich ist das perfekt. Der größte Twist aber: Einfach Spiegel und Kennzeichen wieder dranschrauben, Reifen wieder etwas aufpumpen und heimfahren. Die Sportenduros sind vielleicht schneller und leichter, wurden aber nach dem Tag wieder auf die Hänger oder in die Busse verladen. Eine Xchallenge hat das nicht nötig. Mit diesen Eindrücken komplettiert sich nach Jahren das Gesamtbild, das endlich ein allumfassendes Fazit zulässt…
Fazit
Die Beurteilung der Xchallenge hängt sicherlich vom Standpunkt ab, denn als eine der letzten Allround-Enduros sitzt sie etwas zwischen den Fronten. Eine Nische, die heute im großen Maßstab nur noch KTM besetzt. Aus Straßenfahrersicht ist sie leicht, aber unbequem, das Fahrwerk mitunter viel zu weich. Mit der Geländebrille betrachtet ist sie viiiel zu schwer (was eigentlich nicht?). Tourenfahrern reicht ein Blick auf die Sitzbank und sie winken ab. Doch für mich ist sie damit die perfekte Mischung. Eine zuverlässige Enduro, die den Spagat zwischen Crossstrecke und Tour meistert und darüber hinaus im Alltag Spaß macht. Ein Tausendsassa, Jack of all trades, master of none. Klar gibt es bessere Motorräder für die Piste oder den Urlaub. Aber mit der Xchallenge schaffe ich auch alles dazwischen und muss nicht zwangsweise mit dem Hänger anreisen. Schade eigentlich, dass BMW das Potenzial einer GS auf X-Basis nicht augeschöpft hat. Ob sie sich auch besser verkauft hätte als F 800 GS und die später dazu kommende G 650 GS? Wahrscheinlich nicht. Kann mir auch wurscht sein, denn meine X werde ich nicht mehr hergeben.
Besonders gut finde ich …
- Moderne Allround-Enduro mit großem Einsatzbereich
- Niedriges Gewicht für diese Klasse, auch heute noch
- Sparsamer und standfester Motor
- 21/18 Radkombination und abschaltbares ABS
- Relativ einfache Wartung
- Nach Beheben der bekannten Probleme absolut zuverlässig
- Verschleißteile sind problemlos lieferbar
Was mir nicht so gut gefällt…
- Die Verfügbarkeit von Ersatzteilen wird dagegen ein zunehmendes Problem
- Quasi nur noch gebrauchtes Zubehör erhältlich
- steht geparkt ziemlich aufrecht, Augen auf bei der Parkplatzsuche…
Auf dem Papier (Daten für Xchallenge)
- 652 ccm Einzylinder, Einspritzung, wassergekühlt
- 53 PS bei 7000 rpm und 60 Nm bei 5250 rpm
- Trockensumpfschmierung, 2,3 l Öl
- Fünfgang, Kette, max. 170 km/h
- Gewicht vollgetankt: 167 kg (nachgewogen)
- Zuladung: 175 kg
- 9,5 l Tank, Verbrauch 3,5 – 4 l/100 km, Reichweite 200 bis 250 km (2 l Reserve)
- Stahlrahmen mit verschraubten Seitenteilen aus Aluminium
- Heckrahmen aus Aluminium, angeschraubt
- Fahrwerk vorne: 45 mm USD-Gabel Marzocchi mit 270 mm Federweg, 90/90-21″ Vorderrad
- Fahrwerk hinten: Continental Air Damping System mit 270 mm Federweg, 140/80- 18″ Hinterrad, gegossene Zweiarmschwinge aus Aluminium
- Sitzhöhe 940 mm (je nach Luftdruck)
- Bremsen: vorne 300 mm Einzelscheibe Brembo Doppelkolben, hinten 240 mm Einzelscheibe Bremo Einzelkolben, ABS verfügbar
- 280 W Lichtmaschine
- Service: nach 1000 km, dann alle 10 000 km
- Preis: gebraucht ab ca. 3500 € (ohne ABS, Geländespuren) bis 7000 €
- Sonstiges:
- XCountry: 161,5 kg vollgetankt (Werksangabe), 19/17″ Räder, 220 mm Federweg vorne / 165 mm hinten, nicht einstellbares Fahrwerk, hydr. Federbein, später Stahlheckrahmen
- XMoto: 160 kg vollgetankt (Werksangabe), 17/17 Räder, größere Bremsscheibe vorne, etc.
Mehr Informationen auf www.bmw-motorrad-portal.de
Zubehör
- Verstärkter Heckrahmen, Gepäckrahmen
- Motorschutz, Handschützer, Kühlerschutz
- Rally-Front, 16 l Fronttank, HotRod-X-Hecktank
- andere Sitzbänke
Vergleichbare Motorräder
- KTM 690 Enduro (auch Supermoto)
- Husqvarna 701 E (auch Supermoto)
- SWM RS 650 R (auch als Supermoto)