Testride: BMW G 650 GS Sertao

Die G 650 GS Sertao war mein erstes Motorrad, abgesehen vom Schwarzfahren einer 1200er GS und der Fahrschul-Suzuki. Ich erinnere mich gerne noch an den BMW Online-Konfigurator, die Suche nach einer Gebrauchten und der Entscheidung zwischen F 650 GS Dakar und der quasi baugleichen Nachfolgerin, eben jener G 650 GS Sertao. Nach rund drei Jahren und 15 000 Kilometer mit ihr war es Zeit für einen kleinen, rückblickenden Fahrbericht.

Der Kenner sieht: Das hier ist weder die Dakar noch die Sertao-Halbwüste…

Buchstabensuppe

Die Entscheidung zwischen F und G 650 erklärt sich durch die Modellgeschichte der BMW Einzylinder. Die Zeit der 650er GS beginnt streng genommen bereits 1993 mit der F 650 Funduro, die wirklich so hieß und noch einen Vergaser statt Einspritzung nutzte. 2000 legte BMW mit der F 650 GS dann die erste richtige Einzylinder-Enduro auf. Da BMW zu der Zeit auch mit Zwei- und Einzylindern erfolgreich bei der Rallye Dakar unterwegs war, folgte außerdem die etwas sportlichere F 650 GS Dakar, die mit besonderem Dekor, 21-Zoll-Vorderrad und größeren Federwegen mehr Abenteuerflair versprühte. Mit den Rallye-650ern hatte sie jedoch nicht allzu viel gemein. Eine gute Umbaubasis war sie aber trotzdem, wie man auch im DVD-Mehrteiler „Race to Dakar“ sehen konnte. Auch jenseits ferner Länder waren die Einzylinder sehr erfolgreich und gewannen viele Fans, die mit der klassischen Boxer-Kardan-Kombi nichts anfangen konnten. Zudem gab es sie damals bereits mit ABS! Das legitime Erbe trat 2007 die G 650 X Reihe mit drei verschiedenen Modellen an, von denen sich aber keines dauerhaft etablieren konnte, vielleicht auch, weil keines davon so vielseitig wie die 650 GS war. G nach F? Ja, mit der Einführung der Zweizylinder-800er erhielten die Einzylinder bei BMW fortan den Buchstaben G, das F steht seitdem für die Reihenzweizylinder. Um die Verwirrung zu komplettieren gab es auch eine neue F 650 GS, die allerdings auf der F 800 GS basierte und mit der alten 650er nichts am Hut hat. Immerhin wurde sie später in F 700 umbenannt. Die Verkaufszahlen der neuen G-Singles blieben aber hinter den Erwartungen zurück und so kehrte 2011 die ursprüngliche F 650 GS zurück – nun folgerichtig als G 650 GS und mit überarbeitetem Design. 2012 folgte das Sondermodell Sertao, das dementsprechend auf der F 650 GS Dakar basiert. Ob die Euro-4-Norm nun ein Vorwand war oder nicht: 2016 wurden die Motorräder wieder aus dem Programm genommen, diesmal vermutlich endgültig. Jetzt gibt es zwar eine G 310 GS, die nach meinem Verständnis aber keine moderne Alternative darstellt. Und das liegt nicht am verminderten Hubraum.

Intermezzo: G 650 Xchallenge (links) und F 650 GS Dakar (rechts) wurden 2007 auch parallel angeboten

Verwirrt? Hier nochmal eine kurze Typenkunde:

  • F 650 Funduro (1993 bis 1999, Einzylinder mit Vergaser)
  • F 650 GS (2000 bis 2007, Einzylinder mit Einspritzung)
  • F 650 GS Dakar (2000 bis 2007, Einzylinder, zusätzlich 21-Zoll-Vorderrad, mehr Federweg, anderes Dekor)
  • G 650 Xchallenge, Xcountry, Xmoto (2007 bis 2010, neue Plattform mit gleichem Motor)
  • F 800 GS (2008 bis 2018, Reihenzweizylinder, komplett anderes Motorrad)
  • F 650 GS bzw. F 700 GS (2008 bis 2018, Reihenzweizylinder, komplett anderes Motorrad, aber gleiche Basis wie F 800 GS)
  • G 650 GS (2011 bis 2016, Einzylinder, ähnlich der alten F 650 GS aber neues Design, neuer Scheinwerfer und kleinerer Tank)
  • G 650 GS Sertao (2012 bis 2016, Einzylinder, ähnlich der alten F 650 GS Dakar aber neues Design, neuer Scheinwerfer und kleinerer Tank)
  • Bonus-Verwirrung: Die G 650 GS gab es z. B. in den USA schon 2009 – war aber im Prinzip noch 1:1 die alte F 650 GS

Bewährtes, neu aufgelegt

Diese, so gesehen lange Bauzeit spricht für das Motorrad, obwohl es schon von Anfang an eher zu den schwergewichtigen Einzylindern gehörte. Für einen Allrounder und als leichte Reiseenduro geht das Gewicht aber in Ordnung. Leichtbau sieht eben anders aus und kostet. Dafür sind die 650 GS relativ robust ausgelegt. Der Heckrahmen bietet etwa viele Reserven für Gepäck und Reisen zu zweit. Ein großer Pluspunkt sind auch die Motoren, die als außerordentlich standfest, zuverlässig und sparsam gelten, dafür aber auch mehr wiegen als vergleichbare LC4-Aggregate aus Mattighofen. Laufleistungen von über 100 000 Kilometern sind keine Seltenheit. Dass er seit 2010 nicht mehr in Österreich (sondern in Lizenz bei Loncin in China) gebaut wird, hat daran scheinbar nichts geändert. Mit A2-gültigen 48 PS ist die 650 GS immer gut motorisiert, wenn auch nicht so sportlich wie andere Singles. Dafür glänzt der Motor mit traktorartigem Durchzug und gutmütigen Fahreigenschaften. Vielen Berichten nach schluckt er auch problemlos Sprit mit weniger als 91 Oktan. Bis auf defekte Wasserpumpen und gelegentliche Startprobleme bei halbwarmen Motoren gibt es keine nennenswerten Schwächen. Für elektronisches Zubehör steht darüber hinaus eine 400-Watt-Lichtmaschine zur Verfügung. Der von mir damals so verschmähte Doppelauspuff ist ebenfalls kein Leichtgewicht, aber sehr zurückhaltend bei der Lautstärke. Eigentlich auch ein Pluspunkt.

Dank Einspritzung geht dem Motor nicht so schnell die Puste aus

Trotz großem Vorderraddurchmesser schwingt auch die Sertao ziemlich flink über kurvige Landstraßen. Die zivilere Standard-GS biegt mit ihrem 19-Zöller noch ein bisschen zackiger ein. Da der Tank unter der Sitzbank liegt, ändert sich daran auch bei vollgetanktem Motorrad nichts. 14 Liter fasst der Kunststofftank, der mit dem Modellwechsel um knapp 3 Liter verkleinert wurde. An der Reichweite ändert das aber nicht allzu viel: Die Reservelampe leuchtet meist nach rund 300 Kilometern auf, mit der Reserve sind dann theoretisch immer noch ca. 50 Kilometer möglich. Bei mir lag der Verbrauch immer zwischen 3,5 und 3,8 Litern pro 100 Kilometer, auf langen Autobahnetappen und im Gelände mögen es auch mal etwas mehr als vier Liter sein. Ölverbrauch ist zwischen den Serviceintervallen von 10 000 Kilometern dafür kaum messbar. Am Fahrwerk gibt es eigentlich nichts zu meckern, es hat eben ein enduromäßig eher etwas weiches Grundsetup. Auch die Ergonomie ist ab Werk ausgesprochen gut. Quasi-Standardausstattung sind die zweistufen Heizgriffe, die Wunder bei einstelligen Temperaturen wirken. Bei der Sertao erhöhen zudem serienmäßige (aber nicht allzu robuste) Handprotektoren und die höhere Scheibe den Tourenkomfort. Je nach Körpergröße verursacht sie aber auch gerne mal unangenehme Turbulenzen. Sie ist aber problemlos gegen die kleine Scheibe der GS und andere Nachrüstscheiben austauschbar. Auch für die Sitzbank bietet der Zubehörmarkt vielfältige Möglichkeiten. Die Entscheidung GS oder GS Dakar (respektive GS oder GS Sertao) ist aber einfacher als bei den Zweizylinder-GS und ihren Adventure-Versionen. Gewicht und Preis unterscheiden sich bei den Einzylindern nicht nennenswert, daher können Großgewachsene (oder geländeaffine Fahrernaturen) immer zur Dakar bzw. Sertao greifen.

Bordcomputer, Balkendrehzahlmesser und analoger Tacho. Im Hintergrund: Artgerechte Haltung

Pimp my ride

Ob nun mit 19 oder 21 Zoll, wer seine GS öfter ins Gelände nimmt, sollte sich trotz der guten Grundausstattung Gedanken über etwas Zubehör machen. Der Motorschutz (serienmäßig bei Dakar/Sertao) ist sicherlich ausreichend, aber relativ dünn. Die Serienrasten gefallen zwar mit abnehmbaren Gummiaufsätzen, bei längeren Geländefahrten im Stehen werden die schmalen Bretter aber unbequem. Und wie bei so vielen Fernreise-Motorrädern sind die Handprotektoren mehr Windschutz als robuste Griff- und Handschützer. Erfreulich gut und nur umständlich oder garnicht nachrüstbar sind dagegen Gepäckträger, Bordsteckdose, das abschaltbares ABS und ein in der Vorspannung einstellbares Federbein. Telegabel und Lenker wirken optisch fragil, sind aber ausreichend dimensioniert.

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Quasi frisch aus dem Showroom: Die Sertao kurz nach der Abholung, im Mai 2014…

Wer den Serienzustand nicht ausreichend robust und ergonomisch genug findet, freut sich über eine Fülle an Zubehör. Auch ein Vorteil der langen Bauzeit. So war meine Sertao mit Motorschutz, Barkbuster-Handschützern, Lenkererhöhung, Sturzbügeln, Gabelschützern, Scheinwerferschutz, breiteren Fußrasten, Navihalter und einem leichteren (vulgo lauteren) Auspuff ausgestattet. Ich habe bestimmt etwas vergessen. Mit dem ganzen Zeug war die 650er noch etwas schwerer und fuhr garantiert nicht besser, sah aber einfach viel cooler aus, ich gebe es ja zu. Eine befriedigende Lösung für die Scheibe habe ich bis zum Ende jedoch nicht gefunden. Da half auch die Touratech-Scheibenverstellung nichts. Ja, die hatte ich auch noch montiert…

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… im Ungarn-Urlaub 2016. Später folgte noch ein anderer Lenker

Schrauberfreundlich? Jein

Auch wenn die eigenwillige Tanklösung die Wartung stellenweise etwas umständlich macht, ist das meiste unterwegs oder in der heimischen Werkstatt problemlos machbar. Ärgerlich ist jedoch die hinter vielen Schrauben verborgene Batterie, umso unverständlicher, warum hier ab Werk keine auslaufsichere Gelbatterie verbaut war. Sollte man unbedingt tauschen! Auch der Luftfilter könnte bei einem Fernreisemuli wie der 650 GS ruhig einfacher zugänglich sein. Außerdem erfordert die Trockensumpfschmierung beim ersten Ölwechsel je nach Motorradhistorie ein Umdenken. Sonst ist die intern R13 genannte GS recht konventionell aufgebaut. Canbus Gegner freuen sich über diagnosefreundliche Elektrik via Kabelbaum und auch mit ABS kann die Bremsflüssigkeit auf herkömmliche Art und Weise gewechselt werden, ohne Diagnosegerät schwören die meisten einfach auf ein paar Vollbremsungen auf Schotter, womit sollen sich alte und neue Flüssigkeit einfach vermischen sollen.

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Der vermeintliche Tank beherbergt Öltank, Batterie und Airbox

Fazit:

Sowohl G als auch F 650 GS wirken heutzutage vielleicht nicht mehr besonders sexy, überzeugen aber als unkomplizierte Multitools mit gutem Preis-/Leistungsverhältnis. Im ambitionierten Gelände- und Straßeneinsatz mögen 48 PS und fast 200 Kilo Grenzen setzen. Damit übersieht man aber ihre Qualifikationen als robustes Reisemotorrad und Muli für Fernreisen, wo insbesondere die Dakar- und Sertao-Versionen geschätzte Maschinen sind. In Sibirien, der Mongolei oder Peru fuhr die 650er den größeren GS-Modellen bestimmt das ein oder andere mal um die Ohren. Durch Erfahrung, angepasste Reifen und einem eventuell noch geändertem Fahrwerk geht mit den Motorrädern aber erstaunlich viel, trotzdem ermöglichen sie in bester GS-Tradition auch lange Anreisen. Und im Gegensatz zu den eher exotischen G 650 X-Modellen dürfte die weitaus häufiger gebaute R13 auch längerfristig keine Schwierigkeiten mit Ersatzteilen bekommen. Auch Fahrschulen und die Bundeswehr griffen gerne auf den Rotax-Einzylinder zurück. Aber ob es dann eine kultige Dakar, eine neuere Sertao, oder eine brave Standard-GS sein soll, ist neben der Körpergröße und dem Einsatzzweck vor allem eine Frage des Geschmacks. Qualitativ nehmen sich F und G 650 nichts, daran hat auch die spätere Motorenfertigung bei Loncin in China nichts geändert. Für die G-Modelle spricht zudem, dass sie mindestens vier Jahre jünger als vergleichbare F 650er sind. Auch wenn sie nun endgültig aus dem BMW-Portfolio verschwunden sind, wird die 650er GS ihre treuen Fans behalten und neue dazu gewinnen. Vollkommen zurecht. Dass dieser Fahrbericht gleichzeitig eine Rückschau ist, liegt übrigens an der für mich wesentlich spannenderen G 650 Xchallenge…

Es kann nur eine geben…

Besonders gut fand ich …

  • Tausendfach bewährter, robuster Allrounder mit konventioneller Technik
  • Sparsamer und zuverlässiger Motor
  • Hohe Reserven für viel Gepäck
  • Großer Zubehörmarkt
  • Wartung nahezu komplett in Eigenregie möglich

Was mir nicht so gut gefallen hat …

  • Für einen Einzylinder recht schwer
  • Batterie und Luftfilter hinter vielen Schrauben verborgen
  • Ordentliche Schräglage beim Parken
  • Ab Werk etwas biedere Optik

Auf dem Papier (Werte für G 650 GS Sertao)

  • 652 ccm Einzylinder, Einspritzung, wassergekühlt
  • 48 PS bei 6500 rpm und 60 Nm bei 5000 rpm
  • 2,3 l Öl, Trockensumpfschmierung
  • Fünfgang, Kette, max. 170 km/h
  • Gewicht vollgetankt: 198 kg
  • Zuladung: 182 kg
  • 14 l Tank, Verbrauch 3,8 l/100 km, Reichweite bis 350 km
  • Brückenrahmen Stahl
  • Fahrwerk vorne: 41 mm Telegabel mit 210 mm Federweg, 90/90- 21Vorderrad
  • Fahrwerk hinten: Federbein mit 210 mm Federweg, einstellbar, 130/80-17 Hinterrad
  • Sitzhöhe 860 mm
  • Bremsen: vorne 320 mm Doppelscheibe, hinten 240 mm Einzelscheibe, ABS verfügbar
  • 400 W Lichtmaschine
  • Service-Intervalle: nach 1000 km, dann alle 10 000 km
  • Preis: neu 8200 €, gebraucht ab ca. 4000 €

Zubehör

  • Sturzbügel, Motorschutz, Handschützer, Kühlerschutz
  • Kofferträger, Koffer, Gepäcktaschen
  • Zusatztank (+22 Liter), Tank der F 650 GS (17 statt 14 Liter)
  • Rally-Vorbau, Federbein, Upside-down-Gabel
  • Scheiben, Sitzbänke, Fußrasten etc.

Vergleichbare Motorräder

  • BMW G 650 X-Reihe (gebraucht)
  • KTM 690 R
  • SWM RS 650 S
  • SWM Superdual
  • Yamaha XT 660 (gebraucht)
  • Yamaha XT 660 Ténéré (gebraucht)

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