Testride: BMW R 1200 GS / R 1250 GS Rallye

Die wassergekühlte GS war 2013 das große Ding, heute gehört sie wie selbstverständlich an die Spitze der Zulassungscharts. Und dementsprechend zahlreich begegnet sie einem in den Alpen. Erst die Style-Variante „Rallye“ weckte mein Interesse etwas stärker, denn mit ihr schließt BMW geschickt die Lücke zwischen biederer Straßen-GS und der bulligen Adventure. Mittlerweile durfte ich die Rallye-Editionen der wassergekühlten 1200er und 1250er GS bei verschiedenen Gelegenheiten von Bekannten ausleihen und Kurz-testen.

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Die für mich bisher attraktivste, wassergekühlte Boxer-Offerte (hier noch R 1200 GS)

Eine Vorstellung der aktuellen GS erübrigt sich, denn auch sie ist schon seit einigen Jahren am Markt und hat mittlerweile als 1250 GS die nächste Evolutionsstufe erreicht. Im Übrigen gibt es viele Details, welche die 1250er GS (ab 2018/2019) von der 1200er GS (2013 bis 2018) unterscheiden. Allen voran der Motor mit Shiftcam-Ventilsteuerung, der jetzt 136 statt 125 PS bietet und 143 Nm statt 125 bietet. Letztlich laufen aber beide unter dem Modellcode K50 und haben mehr Gemeinsamkeiten, als Unterschiede. Daher deckt dieser Beitrag mittlerweile auch beide Modelle ab. Die GS galt schon vorher als lebende Legende, ist seit Jahren Bestseller und mit wenigen Ausnahmen Dauersieger sämtlicher Vergleichstests. Übrigens nicht nur in Deutschland. Gegenüber: Die lautstarke Opposition der GS-Hasser, die nicht nur das Motorrad, sondern auch ihre Fahrer aufgrund ihres Erscheinungsbildes verachten. Oder weil sie nicht zurückgrüßen. Oder weil alle doof sind weil sie nur das kaufen, was Fahrtests gewinnt, obwohl die doch von BMW bezahlt werden. Aber ich möchte keine Stammtischdebatte aufwärmen, sondern einfach nur beschreiben, was ich von der GS halte. Selbstverständlich subjektiv, und dass ich gewisse Sympathien für die GS habe, dürfte an dieser Stelle niemanden überraschen. Trotzdem möchte ich vorausschicken, dass auch mir bei der wassergekühlten (LC) GS noch nie so richtig das Herz aufgegangen ist.

Nur Poser fahren noch vor der ersten Fahrstunde im Stehen… Moment mal. (hier R 1200 GS)

Bewährte Qualitäten

Was festzuhalten ist: Die GS bleibt auch in der aktuellen Version ein Alleskönner und einer der besten Kompromisse auf zwei Rädern, den man kaufen kann. Es fängt bei der kommoden Sitzposition an, setzt sich im druckvollen und mittlerweile auch drehfreudigen Boxermotor fort und endet in Ausstattungsdetails, die alles erleichtern, was einem auf langen oder kurzen Touren so begegnet. Beispiele? Höhenverstellbare Sitzbank, Gepäckträger, während der Fahrt verstellbares Windschild und Elektronik, aber dazu später mehr. Fahrerisch kann die GS schon lange mehr als die meisten ihrer Fahrer, mich eingeschlossen. Das Geheimnis ihrer Souveränität liegt sicherlich in der Summe der einzelnen, über Generationen hinweg perfektionierten Teile. Trotzdem: das Gesamtpaket GS bleibt Geschmackssache, wasa nicht nur am Design liegt, sondern auch am grundsätzlichen Charakter, der im Grunde immer noch von Boxer, Kardan und Telelever-Vorderradführung bestimmt wird. Das Funktionelle findet man eben gut, oder langweilig und emotionslos. Dabei ist das grundsätzlich breite Einsatzspektrum der GS sogar größer geworden, was zum einen am Zubehör (Quickshifter und ESA-Fahrwerk) liegt, zum anderen an den ebenfalls aufpreispflichtigen Fahrmodi. Zwar ging es vorher auch ohne, aber „Rain“, „Road“, „Dynamic“ und „Enduro“ ergeben nochmal ein spürbar anderes Fahrerlebnis. Das deutlich sanftere Ansprechen im „Rain“-Modus gibt zum Beispiel auf Autobahn-Tauchfahrten oder nasskalten Passfahrten ein sicheres Gefühl, genauso wie die Enduro-Modi mehr Schlupf zulassen und insgesamt ein besseres Gefühl für Schotter / Sand / beliebiges Gelände geben. Solange die Blickführung stimmt, zieht dich der Boxer überall hoch oder runter. Nur um dann beim Abbiegen auf die Landstraße in perverser Art und Weise zu beschleunigen. Bei guten Bedingungen und insbesondere mit Straßenreifen bleibt daher der Dynamic-Mode erste Wahl, der den Boxer nochmal bissiger reagieren lässt. Die hydraulische Kupplung ist eine der leichtgängigsten, die ich je ziehen durfte. Aber auch abseits der Straße macht die wassergekühlte GS mehr mit, als ihr viele zutrauen. Auch wenn das breitere Reifenformat eine andere Sprache spricht. Doch 120/70 statt 110/80 vorn und 170/60 statt 150/70 hinten bleibt wie viele technische Daten ein theoretischer Wert, der in der Praxis schnell an Bedeutung verliert.

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Geht schon, auch ohne Rallye-Edition (hier R 1200 GS)

Was sich seit der ersten Vierventiler-GS von 1994 nicht geändert hat, ist der konstruktionsbedingte, tiefe Schwerpunkt des Boxers und ordentliche Federwege von 190 bzw. 200 Millimeter. In Summe hat die wassergekühlte GS wieder ein paar Kilos zugelegt, doch ob es nun 250 oder 260 sind: Das stört meist nur die, die sie gerade nicht fahren. Oder die, die sie gerade wieder aufrichten müssen. Im Vergleich zur Konkurrenz ist das kein Bestwert, aber auch kein Übergewicht, wie es z. B. der Triumph Tiger Explorer zugeschrieben wird. Es gibt selbstverständlich auch wieder eine Adventure-Version, die (wie immer) einen großen Tank, mehr Windschutz, Sturzbügel, um 20 Millimeter erhöhte Federwege, eine andere Sitzbank und endureske (also gezackte) Fußrasten und Fußhebel (also klappbar) bietet. Dementsprechend ist sie aber auch deutlich schwerer und teurer. Ein interessanter Randaspekt: Bereits die normale GS wirkt größer als die aus heutiger Sicht schon fast drahtig wirkende, luftgekühlte Vorgängerin. Wer jedoch 1150 und 1200er GS Adventure als ihrerzeit häufig als „Berg von Motorrad“ bezeichnete Maschinen im Kopf hat, wird sich wundern, wenn er mal eine wassergekühlte 1200 bzw. 1250 GS Adventure sieht. Trotzdem oder gerade deshalb steigt der Adventure-Anteil unter den jährlichen Verkaufszahlen. Welche nun die bessere GS ist, muss wie schon anno 2002 jeder für sich selbst entscheiden. Ich würde im Zweifelsfall immer auf 20 Millimeter Federweg verzichten und mich für die leichtere Standard-GS entscheiden. Bis auf den Tank lässt sich alles andere nachrüsten. Oder je nach Edition direkt mitbestellen.

R 1250 GS Adventure: Wer ko, der ko. Wer nicht, greift zur Standard-GS © Copyright BMW AG, München (Deutschland)

Wunschliste

Und damit zurück zur Rallye: Hatten frühere „Rallye“ oder „GS Trophy“-Sondermodelle nur eine andere Optik, gab sich BMW mit dieser „Rallye“ deutlich mehr Mühe. Sie ist eine von aktuell zwei Style-Optionen und umfasst unter anderem Kreuzspeichenräder, längere Federwege, andere Farben, ein kurzes Windschild, eine einteilige Sitzbank und die Fußrasten der Adventure. Kein Hauptständer. Also quasi eine abgespeckte Adventure, nur ohne deren Windschutz, Sturzbügel und Koffersystem. Bei der aktuellen 1250 GS gibt es mit dem „Style Rallye“ zwar kein anderes Fahrwerk mehr, wohl aber die genannten anderen Features, welche das Erscheinungsbild meiner Meinung nach deutlich aufwerten. Die derzeit noch angebotene 40-Jahre-Sonderedition liegt irgendwo dazwischen. Diese klare Trennung Pro Gelände oder Pro Straße gefällt mir deutlich besser, als die Teile (wie zu Zeiten der Vorgängerin) im Katalog versteckt als Sonderzubehör anzubieten. Trotzdem kam mir manchmal die Frage in den Sinn, warum BMW sich dabei nicht an KTM orientiert und die Modelle noch eigenständiger ausstattet. Bei KTM bieten die „R“-Modelle deutlich mehr Federweg, ein 21-Zoll-Vorderrad und ein 18-Zoll-Hinterrad. Nebst anderen Details. Die Standardmodelle kommen dementsprechend mit einer 19/17-Radkombi (Ausnahme ist die 790 und 890, bei denen beide Modelle eine 21/18er-Kombi hatten). Liegt es am Telelever? Warum dann keine Upside-Down-Gabel? Und wenn man schon dabei ist, warum nicht noch etwas mehr abspecken und die HP 2 wiederbeleben? Tja. Wahrscheinlich liegt es daran, dass es so auch perfekt funktioniert. Weil sich das am Ende doch garnicht soo viele Leute wünschen, wie die Fans immer glauben. Und wenn doch, sich die wenigsten eine kaufen würden. Auch wenn die GS damit ein wenig zu ihren Wurzeln zurückkehren würde, als mutiges Statement für sich und für die Geländefans. Aber womöglich überlässt BMW dieses Feld ja bald einem neuen Heritage-Modell mit luftgekühltem Boxer…

Elektrolore

Die viel größere Diskussion für und wider angeblicher Weltreisetauglichkeit dreht sich ohnehin um ganz andere Sachen. Da gehören CANBUS und ABS mittlerweile immerhin zu weitgehend akzeptierten Features, doch die Liste wird immer länger. Reifendrucksensoren, Kurven-ABS, LED-Scheinwerfer, TFT (ab Baujahr 2017), elektronisches Fahrwerk, Keyless-Ride. Notlaufprogramm mit 15 PS, weil irgendein Sensor hinüber ist? Die gefühlte Ohnmacht im Pannenfall wächst. Da hilft das schöne Bordwerkzeug auch nur bedingt weiter. Und spätestens wenn ich an die leeren Batterien der Reifensensoren meiner 2008er GS denke, für die ich spätestens zum „Anlernen“ in die BMW-Werkstatt muss, vergehen sämtliche Gedanken ans große Abenteuer. Abenteuerlich wird dann eher Fehlersuche und Reparatur mit Anleitungen aus dem Forum. Und der Nutzen von Keyless-Ride erschließt sich mir nach wie vor nicht. Ok, die Gefahr, den Schlüssel abzubrechen verringert sich ungemein. Zugegebenermaßen, selbst durch die verstaube Crossbrille schmeichelt das glasklare, große TFT den Augen. Die sinnvoll nutzbaren Fahrmodi habe ich bereits beschrieben, das elektronisch einstellbare Fahrwerk noch nicht. Auch das wirkt zunächst wie eine weitere unnütze Sache, die kaputt gehen kann. Aber wenn es dafür sorgt, dass ich mein Fahrwerk tatsächlich an die Beladung und den Untergrund anpasse? Und es doch mechansich genauso robust oder anfällig wie ein konventionelles ist? Was ich damit sagen will: Wer diese Dinge mal selber erfahren hat, wird schnell merken, dass die Wahrheit wie so oft irgendwo dazwischen liegt. Nicht alle neuen Features sind schlecht, und an die zunächst überfrachtet wirkende Knopf-Armada gewöhnt man sich auch irgendwann. Was mechanisch heutzutage kaputt geht, lässt sich auch heutzutage noch mit entsprechendem Werkzeug und Know-How reparieren. Auch wenn ich diese Skepsis grundsätzlich berechtigt finde, gerade bei Geländemotorrädern oder solchen, die sich dafür halten. Nach einigen Jahren am Markt kann man die K50-GS jedoch als ausgereift bezeichnen, auch wenn es wie bei jedem Modell immer wieder kleinere Macken und Rückrufaktionen gab. Wenn man aber will, findet man genügend Globetrotter, die auch mit dieser vermeintlich viel zu teuren und viel zu elektronischen GS um die Welt (und zurück) kamen. Aber wenn man schon Rückrufe, Kinderkrankheiten und die vermeintlich dekadente Technik einer viiiiel zu schweren Luxus-Enduro kritisieren will, dann muss man das auch bei anderen Motorrädern tun.

Display und integriertes Navi. Nach etwas Eingewöhnung einfach gut (hier R 1250 GS)

Fazit:

Insbesondere die Rallye-GS sind ein wunderbarer Mittelweg zwischen Adventure- und Standard-GS. So oder so, mit einer GS braucht man theoretisch kein zweites Motorrad. Die passt einfach zu (fast) jedem Anlass. Der Nachteil: Sie ist auch so teuer wie zwei Motorräder. Mit etwas Ausstattung knackt der Neupreis schnell die 20 000er Marke. Auch gebraucht bleiben die Motorräder teuer. Ein weiterer Preis, der nicht im Konfigurator berechnet wird, ist die fehlende Individualität. Kann einem aber auch egal sein. Und wenn nicht, gibt es genügend Möglichkeiten, die GS dezent und funktional zu individualisieren. Ob man dabei jedes Teil mit einer zusätzlichen Schutzblende oder einem Gitter versehen muss, muss jeder selbst wissen. Grundsätzlich bleibt GS fahren auch mit Wasserkühlung Geschmackssache und eine Frage des Charakters. Wie an anderer Stelle beschrieben taugt mir das souveräne, unaufgeregte und rundum funktionierende Wesen der GS. Nur bitte nicht mit Gussrädern oder als 30 000 Euro-Fulldresser. Die ältere Luftgekühlte mag ich aber noch lieber.

Die „Rallye“-Edition ist für mich nach wie vor die beste LC-GS. Wäre da nicht die luftgekühlte…

Besonders gut finde ich …

  • Tolles Gesamtpaket mit durchdachten Details, coole Optik
  • Kann alles, und das auch noch ziemlich gut
  • Bulliger Boxermotor, wenn auch nicht mehr ganz so charakteristisch
  • Je nach Bedarf sehr dynamisch und spaßig, lässt dich aber auch in Ruhe
  • Leichtes Handling
  • Als Rallye: Geländegoodies der Adventure, nicht aber ihr Gewicht und die Ausmaße

Was mir nicht so gut gefällt…

  • Gewöhnungsbedürftiges Menü und viele Knöpfe
  • Relativ laut, dürfte einen Ticken leiser sein
  • Hoher Preis
  • Noch weniger schrauberfreundlich als vorherige GS, wie man sagt
  • Als Rallye: Hätte womöglich noch mehr Offroad-Potenzial gehabt, z.B. 21″-Vorderrad

Auf dem Papier (R 1200 GS, 2017)

  • 1170 ccm Zweizylinder-Boxer, Einspritzung, Luft- /wassergekühlt
  • 125 PS bei 7750 rpm und 125 Nm bei 6500 rpm
  • Nasssumpfschmierung
  • Sechsgang, Kardan, ca. 210 km/h
  • Gewicht vollgetankt: 256 kg
  • 20 l Tank, Verbauch ca. 4,5 l/100 km, Reichweite ca. 400 km
  • Brückenrahmen aus Stahl
  • Fahrwerk vorne: 37 mm Telegabel / Telelever, mit 210 mm Federweg, 120/70-19 Reifen
  • Fahrwerk hinten: Einarmschwinge, ESA-Federbein und Paralever, 220 mm Federweg, 170/60-17 Reifen
  • Sitzhöhe 870 / 890 mm
  • Bremsen: Teilintegral, Vierkolben-Festsättel und Doppelscheiben 305 mm vorne, Einzelscheibe 276 mm hinten, ABS, Traktionskontrolle,
  • 620 W Lichtmaschine
  • Service: alle 10000 km
  • Preis: ab 15900 €
  • Link zur Produktseite

Zubehör

  • Es gibt nichts, was es nicht für die R 1200 GS gibt. Sogar Schutzgitter für die Blinker. Kein Witz.

Vergleichbare Motorräder

  • BMW R 1200 GS bis 2012 (luftgekühlt)
  • Ducati Multistrada 1260
  • KTM 1090 Adventure / Adventure R
  • KTM 1290 Adventure / Adventure R
  • Yamaha Super Ténéré
  • Triumph Tiger 1200
  • Honda Africa Twin Adventure Sport
  • Suzuki V-Strom 1000

2 Gedanken zu “Testride: BMW R 1200 GS / R 1250 GS Rallye

  1. Lieber Ferdinand, ich schätze Deine Beiträge sehr! Habe gerade die Berichte über CCM450, GS1200 luftgekühlt, GS 1200 wassergekühlt und den Logbucheintrag, der sich mit Corona und Co. befasst, in aller Ruhe gelesen und komme nach jedem Beitrag zum gleichen Schluss: ausgezeichnete Arbeit! Deine Erfahrungen, Überlegungen und Einschätzungen „köcheln“ immer einige Zeit nach und haben meine eigene Sicht auf das Thema „Bike&Co“ deutlich verändert – zum Besseren natürlich.
    LG eRWe

    • Wow, vielen Dank für die netten Worte. Ich bin sicher keine superkompetente Instanz was Motorräder bewerten angeht, daher bleibt es eben beim Einschätzen und in meinen Kontext einordnen. Wenn das unterhaltsam ist und eigene Überlegungen anregt, habe ich ja vielleicht genau das geschafft, was mir an anderen Enduro-Blogs so gut gefällt. Vielen Dank dafür. Gruß, Ferdinand

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