B22 – Tag 8

  • Abschnitt: Pristina (Kosovo) – Struga (Nordmazedonien)
  • Zeit: 09:30 bis 17:30 Uhr
  • Tageskilometer: 332
  • Kilometer insgesamt: 2390
Für eine vergrößerte Karte hier klicken, für die GPX-Datei hier. Daten von OpenStreetMap – Veröffentlicht unter ODbL, Screenshot und Routenoverlay erstellt mithilfe von kurviger.de

Beim Frühstück, bei dem ich nochmal eine kleine albanische Spezialität probiere, deren Namen ich sofort vergesse, ergibt sich die nächste Smalltalkmöglichkeit zum Thema BMW und Motorrad. Ein anderer Sohn der Gastgeberfamilie hat mir gestern im vorbeilaufen schon „cool bike“ zugerufen, jetzt präsentiert er mir das Frühstücksbuffet, macht mir einen ordentlichen Kaffee und erkundigt sich nach dem Baujahr meiner GS, die er zehn Jahre jünger schätzt, als sie ist. Wir reden noch über elektronisch verstellbare Fahrwerke, ich erfahre, dass er selbst ein Kymco-Quad fährt, aber Motorräder liebt. Ich breite noch meine bisherige und die geplante Reiseroute aus, was ihn sehr beeindruckt und mir schmeichelt.

Mit Käse gefüllte Taschen, eine glückliche Kuh und Honig, auf den ich seit gestern Lust hatte

Ich überprüfe nochmal den Luftdruck, und weil ich dafür zum ersten Mal in den tiefsten Schichten des linken Koffers kramen muss, entdecke ich dabei die Tube Waschmittel, die ich vor ein paar Tagen an anderer Stelle gesucht und nicht gefunden habe. Naja. Ich fahre wie geplant nochmal zum Bärenpark, wo ich den XS-Pulli problemlos gegen einen XL-Pulli umtauschen kann. Bei einer Tankstelle (dieses Mal sind es ausgemusterte Jet-Zapfsäulen) tanke ich nochmal voll und fahre zurück Richtung Autobahn. Auf dem Weg fallen mir viele serbische Flaggen auf, die an Häusern und Geschäften wehen. Viele Schilder sind hier wieder kyrillisch und im Nachhinein merke ich, dass ich gestern öfters mal die albanische Fahne gesehen habe. Ein geparkter KFOR-Jeep und ein Blackhawk-Hubschrauber, der gestern über den Bärenpark geflogen ist, unterstreichen, dass die Lage hier zwar stabil, aber trotzdem noch immer angespannt sein muss. Aber mehr bekomme ich als Expresstourist natürlich auch nicht mit. Viel mehr beeindruckt mich das kilometerlange Gewerbegebiet, durch das ich gerade fahre. Alles wirkt wie die Bausteine eines PC-Spiels, die sich immer wiederholen. Möbelläden, Lampenläden, Baumärkte, Autosalons, Hotels (wieder mit kitschigem Prunk verziert), und, natürlich: Tankstellen, Tankstellen, Tankstellen.

Der Weg Richtung Süden scheint aus den immer gleichen Versatzstücken gebaut zu sein

Dazwischen gibt es unzählige Sammelplätze für Gebrauchtautos, der Übergang von „Gebrauchtwagen“ über „Ersatzteillager“ zu „Schrott“ ist fließend. Bei jedem dritten überlege ich, ein Foto der übereinander gestapelten Karossen zu machen, lasse es dann aber bleiben. Ähnliches habe ich bereits in Kroatien und Bosnien gesehen, aber in dieser Dimension eben noch nicht. Es wirkt, als wäre der Kosovo die Endstation im Lebenszyklus vieler Autos, LKW und Baumaschinen. Womöglich ist das sogar nachhaltiger als das, was man in den reicheren EU-Staaten so treibt. Aber mehr als halbwissend über das zu spekulieren, was ich hier sehe, kann ich ja auch nicht.

Symbolbild für den größten Wertstoffhof Europas

Auf der Autobahn fallen mir dann wieder die vielen durchgestrichenen Schilder auf, die auf Mautstationen und Rastplätze deuten, von denen aber noch nicht einmal Fundamente (oder anders herum: Überreste) zu sehen sind. Da waren die bestellten Schilder wohl um ein paar Jahre zu früh da. An der Grenze zu Mazedonien dauert es zum ersten Mal auf dieser Reise etwas länger, ich erwische natürlich die Spur, bei der gleich bei mehreren Autos etwas nicht stimmt. Als ich schon an der Reihe bin, verlässt der Polizist nochmal sein Büdchen und rennt nochmal in den Bürotrakt. Bei mir gibt es offensichtlich nichts zu beanstanden, ein paar Meter weiter werde ich nochmal gefragt, ob ich etwas zu verzollen habe. Habe ich nicht, und damit ist die letzte, vermeintlich komplizierte Einreise in ein Nicht-EU-Land erledigt.

Bei bald 40 Grad brause ich die Mutter-Theresa-Autobahn entlang und bezahle dafür an vier Mautstationen jeweils zwischen 80 Cent und 1 Euro 10. Da ich jedesmal zwei Quittungen bekomme, wird das bei jedem Halt etwas schwieriger, die Kreditkarte aus dem Geldbeutel zu fischen. Ich bin leicht genervt und gelangweilt und finde zum Glück noch eine etwas schöner aussehende Verbindung über die Landstraße, was nur eineinhalb Stunden länger dauert. Auf dem Weg in die Berge kühlt es wieder ab und als ich in den Mavrovo-Nationalpark einfahre, mache ich eine kurze Pause.

Wieder gibt es Lektionen in Kyrillisch

Im Wald merke ich jedes Grad weniger, es wird aber zwischendurch trotzdem verdammt warm. Mit 41,5 Grad Celsius erreiche ich einen neuen Bestwert, andererseits: an das tagelange fahren bei 35, 36, 37 Grad gewöhnt man sich tatsächlich. Aber da ist es schon fast egal, was man anhat. Zum ersten Mal seit Tagen treffe ich wieder auf andere Motorradfahrer, natürlich alle aus Deutschland. Und natürlich fahren alle GS, immerhin ist auch eine 650er darunter. Die Strecke ist kurven- und auch landschaftlich abwechslungsreich, aber so richtig Spaß kommt heute nicht auf.

Etwas Sightseeing am Straßenrand

Über Debar, den daneben liegenden See und Lukovo erreiche ich irgendwann Ohrid, wo ich mich erstmal orientierungslos ins Zentrum reinziehen lasse, bevor ich dann doch lieber mal im Reiseführer nachschaue und mir Alternativen im Navi anzeigen lasse. Ich kann mir überlegen, ans südöstliche Ufer des Sees zu fahren oder ans nordwestliche. Da ich aber morgen sowieso wieder an Ohrid vorbei muss, entscheide ich mich für den Campingplatz, der im Reiseführer empfohlen war. Also Nordwesten. Der Weg durch Ohrid zurück zieht sich gefühlt etwas und auch an der Promenade in Struga ist viel los. Der Campingplatz liegt wie beschrieben direkt am Ufer und ich bin froh, der Empfehlung gefolgt zu sein. Ich wehre mich nicht gegen das Deutsch des Besitzers, er serviert mir zuallererst Espresso und Schnapps in Plastikbechern („Tradition“) und sagt, dass wir bei einer Nacht keine Registrierung machen müssen. Währenddessen komme ich mit einem Mit-Camper ins Gespräch, der mich fragt, wo ich bisher so war. Ich schwärme vom Durmitor-Nationalpark, wo er auch vor kurzem gewesen ist. Er und sein Frau würden wohl noch ein paar Tage bleiben und dann weiter nach Volos in Griechenland fahren. Sie hätten nämlich noch bis Oktober, denn “ wir müssen ja nicht mehr arbeiten.“ Ja, ja. Ich meinte dann, dass ich nach Athen möchte und leider nicht so viel Zeit habe. Nachdem ich mir zwei Anstandsschlücke vom Schnapps reingezwungen habe, lasse ich den Rest stehen und suche mir ein freies Plätzchen. Hier, am Ohridsee, inmitten deutscher und holländischer Campingbusse und Caravans zerbröseln meine letzten Illusionen. Was nicht schlimm ist. Aber ich sehe letztendlich ein, dass man von einem Abenteuer in Südosteuropa höchstens dann sprechen kann, wenn man befestigte Straßen hinter sich lässt (so wie vorgestern). Das wussten andere sicher schon vorher und es ändert nichts an der Qualität meiner Reise, aber irgendwie habe ich bei jedem Grenzübertritt erwartet, wieder dieses mulmige Gefühl zu bekommen und mich nicht willkommen zu fühlen. Tja. Ich baue fix mein Zelt auf und hüpfe kurz in einen der ältesten Seen Europas.

Endlich Camping am See

Bald bereite ich mein Abendessen vor, dass ich heute Vormittag noch im Kosovo gekauft habe. Zur Abwechslung gibt es mal wieder Nudeln mit Tomatensauce. Ich bin vor einer Woche losgefahren, gefühlt bin ich schon mindestens zwei Wochen unterwegs. Dieser Abend fühlt sich irgendwie nach Abschied an, vermutlich deshalb, weil ich die Reise schon während der Vorbereitung gedanklich in Abschnitte geteilt habe. Der Balkan war das, wo es abenteuerlich sein würde. Griechenland wäre das, wo es wieder touristisch werden würde. Vom Euro über Datenroaming bis hin zur Qualität der Straßen. Obwohl ich noch viele Tage Urlaub habe, bin ich gefühlt schon auf dem Heimweg.

Post Scriptum: Beim Blick auf die Karte scheine ich wohl wieder einmal auf den langweiligeren Straßen gelandet zu sein. Aber hinterher ist man immer schlauer.

Gute Nacht

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