- Abschnitt: Mostar (Bosnien und Herzegowina) – Žabljak (Montenegro)
- Zeit: 08:30 bis 16:30 Uhr
- Tageskilometer: 238
- Kilometer insgesamt: 1368

Überraschenderweise sind die T-Shirts trocken, im Gegensatz zu den Socken und Unterhosen. Die Erleichterung ist trotz der beruhigenden Worte groß, als ich das Moped beim Gang zum Frühstück noch vor dem Fenster stehen sehe. Nach dem Frühstück, bei dem ich unfreiwillig einem deutschen Geschäftsmann und den typischen Business-Floskeln lauschen kann (so typisch, dass die Branche nicht zu erahnen ist), beseitige ich das Chaos in meinem Hotelzimmer. Beim Anbauen des linken Koffers bekomme ich (bzw. mein Motorrad) noch einen Daumen nach oben, begleitet von „BäEmWä!“. In dem Moment wird mir bewusst, wie unterschiedlich die Binnen- und Außenwahrnehmung deutscher Marken sein kann. Bei uns scheint das ja durchaus zu polarisieren (sofern es den Leuten nicht wurscht ist), aber mit einer (oder einem) BMW ist man ja auch mal schnell in der Snob- oder Prollecke verortet (je nach Modell und Baujahr). Hier darf man die Marke (vermutlich genauso wie die zahlreichen VWs und Audis) einfach gut finden, weil sie vermutlich für Qualität steht. Viel Konjunktiv und so weiter, aber ich möchte auch nicht mehr reininterpretieren, als es ist. Aber in Deutschland passiert sowas eben nicht. Trennung. Ich kann es nicht erwarten, aus Mostar herauszukommen, was mir zum Glück schnell gelingt. So groß ist die Stadt dann eben doch nicht. In einem Gewerbegebiet am Stadtrand entdecke ich einen „Bingo“-Supermarkt, der um Welten freundlicher wirkt, als der finstere Markt in Bihać. Die bosnische Mark, die ich in den Einkaufswagen stecke, offenbart die erste Notwendigkeit für eine ausländische Währung. Nicht schlecht. Als ich herauskomme, regnet es heftig. Ich erreiche nach paar Minuten Schnellstraße eine karge, hügelige Landschaft, da die Straßen etwas rutschig wirken, pendelt sich mein Tempo irgendwo zwischen 40 und 70 ein. Schnell erreiche ich wieder die Republik Srpska, was an der Straßenqualität nicht viel ändert. Ich gerate auf eine lange Strecke, an der gerade gebaut wird und wo sich dieser ekelhafte, aufgefräste Asphalt auch durch sämtliche Kurven zieht.

Im Vergleich zum bunten Mostar wirkt hier alles wieder ziemlich trostlos und einsam. Mit besserem Wetter wird es etwas besser, der rauen Landschaft kann ich an sich viel abgewinnen. Trotzdem habe ich das Gefühl, langsam wirklich in einem der Hinterhöfe Europas angekommen zu sein. Ich entdecke eine vor sich hin rostende Brücke, die ich für ein zu Hundert Prozent gestelltes Foto ausnutze – schließlich bin ich weder in die eine, noch in die andere Richtung gefahren, sondern auf der daneben liegenden Landstraße. Aber die ist eben nicht so fotogen.

In der Zwischenzeit mache ich mir weiter Gedanken über meine Eindrücke aus Bosnien, die sich langsam zu einem ausgeglichenen Bild verdichten. Ja, in weiten Teilen entspricht Bosnien noch immer dem Klischee. Überall ziehen Golf/Passat/Polo der Neunziger blaue Fahnen hinter sich her, aber es gibt eben auch aktuelle Autos und die dazu passenden Glaspaläste der Händler. An Tankstellen wird der Grünstreifen gemäht und gepflegt, in Mostar halten Straßenkehrer die Gehsteige sauber – andererseits ist fast jede Haltebucht mit Plastikmüll und Bierbosen vermüllt, hier und da qualmt ein zusammengekehrter und angezündeter Haufen Müll. Überall stehen Häuser, die noch immer von Krieg gezeichnet sind, aber es gibt auch Neubauten die hübscher aussehen, als die sterilen Wohnhäuser, die bei uns teilweise so entstehen. Trotzdem frage ich mich, welche Zukunftsperspektiven man in diesem Teil des Landes so sieht. Immer wieder muss ich für Kühe bremsen und einen Slalom um sie fahren. Ich schätze sie mittlerweile gefährlicher als die wilden Hunde ein, über die sich viele Reisende (mich eingeschlossen) Gedanken machen, die aber meist nur faul herumliegen und viel Abstand zur Straße lassen.

Mit Gacko erreiche ich wieder einen etwas größeren Ort, der schon von weitem durch sein Kohlekraftwerk angekündigt wird. Es qualmt aus allen Öffnungen und würde sicherlich eine gute Filmkulisse abgeben. Mir fallen außerdem die vielen Steinbrüche (oder ist es Tagebau?) auf, was die Umgebung noch deprimierender wirken lässt.

Nach ein paar Kurven und ein paar Höhenmetern sieht alles wieder deutlich freundlicher aus und am Klingje-See mache ich eine kleine Mittagspause. Der vorbeirauschende Verkehr ist durchaus international, was mich mit jedem zurückgelegtem Kilometer weniger (aber eben irgendwie doch) überrascht. Als ich dann wieder mal ein Auto aus Freising erkenne, ist der Hauch von „Exotik“ und „Abenteuer“ wieder dahin. Aber was habe ich auch erwartet…

Zum Grenzübergang muss ich eine Zeit lang Richtung Nordwesten fahren, nur um dann auf der anderen Uferseite alles wieder Richtung Südosten zurückzufahren. Dabei komme ich durch einen weiteren Nationalpark, was das vorhin beschriebene Bild von Bosnien noch positiv ergänzt. Die Straße Richtung Grenze ist dann wieder so abenteuerlich, dass ich lieber nochmal auf der Karte nachschaue. Sie ist nämlich stellenweise sehr schmal, links und rechts nur von Kies oder Sand eingerahmt und voller Schlaglöcher, weshalb einem viele Autos genau in der Mitte entgegenkommen. Zwischendurch stoße ich auf eine Zip-Line, die zum Glück unbesetzt ist, sonst hätte ich mir das ja fast überlegt. Auch Campingplätze säumen den Weg.

Die Straße zieht sich, es macht aber richtig Laune. Ich entdecke mal wieder, wie viel Punch die GS im zweiten Gang hat, was mich kurz zu halbgaren Wheelie-Versuchen animiert. Ich lasse es lieber, denn hier umzufallen wäre nicht nur peinlich, sondern superdämlich. Ich halte für einen weiteren Schnappschuss und kann mein Wildlife-Album um ein paar Esel ergänzen.

Die Grenzkontrolle ist wieder fix erledigt, danach fahre ich über eine mit Holzbohlen (uh, ädwentscha!) ausgelegte Brücke über den Fluss. In Montenegro dauert die Einreise nicht viel länger, und wieder ist in der Gegenrichtung deutlich mehr los. Der erste Eindruck, der sich sofort aufdrängt: Was für tolle Straßen! Dann Felsen, Schluchten, viele Tunnel und ein Stausee im tiefsten Türkisblau.

Ich bin sofort verliebt in Montenegro und glücklich über die Entscheidung, das Land von hier aus zu erkunden. Ständig halte ich an und überlege, wie ich was am besten fotografieren kann. Als Ziel habe ich Žabljak im (oder kurz nach dem) Durmitor-Nationalpark auserwählt, wo es viele Campingplätze gibt. Aber noch habe ich viel Zeit.

Als ich dann die ersehnte Abzweigung Richtung Berge erwische, starre ich wieder ungläubig auf das Navi. Die Tunnel hier sind unbeleuchtet, ok, aber das hier sieht aus wie eine Baustelle. Alles hat aber seine Richtigkeit und so folge ich der schmalen Straße Richtung Trsa und Žabljak.

Nach ein paar Kurven gibt es nochmal einen letzten Blick auf den Piva Canyon, danach wird es kleinteiliger, grüner und fast etwas unspektakulär. Aus einem Schotterweg kommen drei Ténéristi, ich bin mir sicher, dass der Trans Euro Trail hier irgendwo liegen muss (Nachtrag: ja, tut er).

Bald wird die hier ausgeschilderte „Panoramic Road“ ihrem Namen gerecht. Auf einmal bin ich auf einer kargen Hochebene, die von Weiden, Hügeln und Weidezäunen durchzogen ist, nur vereinzelt glitzern die Blechdächer der Häuser in der Sonne. Aber, auch hier fallen mir die vielen Touristen auf. Ich mache wieder ein paar Fahrfotos mithilfe des Stativs und habe das Gefühl, kurz vor einem Reisehighlight zu stehen.

Bald sehe ich den Desktophintergrund nicht nur vor mir, sondern bin mittendrin in der Fototapete. Alles erinnert mich an das XXL-Rammstein-Poster, das mal in meinem Zimmer hing und mit der Band eigentlich wenig zu tun hatte (nach der Recherche sah es doch etwas anders aus, als ich es im Kopf hatte). Auch die Autos, die mich vorbeiwinken, halten alle paar Kilometer für einen Fotostop. Und wieder winken sie mich vorbei, es entsteht ein Fünkchen Gemeinschaftsgefühl. Dann habe ich die Straße wieder kurz für mich und es trifft mich das genaue Gegenteil meiner roboterartigen Anreise.

Es mag an der Höhenluft (naja), an angestauten Erwartungen liegen. Oder daran, dass hier alle so rücksichtsvoll fahren, sich gegenseitig vorbeiwinken statt egoistisch zu drängeln. Bei der Fahrt durch diese Landschaft erlebe ich ein Hochgefühl, das ich beim Motorradfahren schon lange nicht mehr oder überhaupt noch nie hatte und nicht wirklich beschreiben kann. Alles ist gut und mir kommen ein paar Tränen, vor Freude, vor Erleichterung, weil mich die karge, einsame Schönheit direkt ins Herz trifft und es gut ist, dass da etwas ist, was weh tut. Fotos spare ich mir selbstredend, es wäre sinnlos.

Selbst die ganz langsam weniger spektakuläre P14, vorbei an zig Hüttencamps und an einer geführten Pferdetour, aber auch die letzten Kilometer auf perfektem Teer – ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Und immer noch liegt alles eingebettet in dieser herben, aber schönen Hochebene. Im Camp angekommen habe ich Zeit, das ganze etwas zu verarbeiten und entscheide mich kurzerhand für eine der netten Hütten. Zum einen um es auszuprobieren, zum anderen weil ich befürchte, dass mein Schlafsack auf dieser Höhe doch an seine Grenzen kommen könnte. Beziehungsweise ich, der darin liegen muss. Die Hütte bietet außerdem eine gute Gelegenheit, die noch immer feuchte Wäsche durchtrocknen zu lassen.

Ich bastel mir aus zwei Spanngurten eine Wäscheleine, sortiere ein paar der Fotos (falls es bis jetzt nicht aufgefallen ist, heute habe ich wirklich viel fotografiert), sichere sie auf dem Handy und freue mich auf meine Nudeln. Es ist außerdem der erste Abend seit langem, an dem das WLAN gut genug ist, dass ich eine Folge „Camping with Steve“ anschauen kann. Hochgenuss!

Hallo Ferdinand, coole Reise und Klasse Reisebericht von Dir. Ich bin 2015 in Mostar gelandet nachdem ich mehrere Pässe in den Alpen gefahren bin. Die ganze Küstenstraße runter nach Dubrovnik, dann Querfeldein die R426 nach Hum, Mrkonjici, die M6 nach Ljubinje, Stolac nach Mostar. Die Grenzstation Nähe Hum war unglaublich. Ich war mit einer FJR 1300 unterwegs und hatte wie Du viel Freude. Herzliche Grüße aus Hessen, Georg.
Hallo Georg, vielen Dank für den netten Kommentar. Mostar ist schon sehenswert, wenn man „in der Nähe“ ist! Was fandest du an der Grenzstation unglaublich? Man hat ja viel gehört, aber ich war überall in wenigen Sekunden durch. Viele Grüße, Ferdinand