Böhmische Dörfer – Tag 3

Ohne meinen Wecker hätte ich noch viel länger geschlafen, denn selbst um 8 ist es noch recht dunkel im Zelt. Mir graut es vor dem Aufstehen, aber es hilft ja nix. Ich kämpfe mich liegend in die Funktionsunterwäsche, Jeans und Pulli bevor ich aus dem Zelt klettere. Es hat zwar nicht geregnet, trotzdem ist alles nass und angetaut. Als erstes möchte ich mir einen Kaffee machen, endlich mal den Gaskocher benutzen, den ich (wie das Zelt) letztes Jahr gekauft habe. Kocher? Check. Gas? Check. Bialetti? Check. Kaffee? Check. Feuerzeug? Hmm… ich wusste doch, dass ich irgendwas vergessen habe. Ich schau mich um und entdecke einen anderen Camper, der vor seinem Caravan sitzt und ein Buch liest. Ich überlege noch kurz, wie ich es anstelle, stapfe dann aber einfach rüber und frage nach „dobry den“ auf Englisch, ob er ein Feuerzeug habe. Hat er, sehr nett. Als ich es ihm nach dem Anzünden wieder zurückbringe, winkt er zuerst ab, ich sage ihm aber, dass ich es nur jetzt gebraucht habe und bedanke mich nochmal. Mit heißem Kaffee aus der Falttasse sieht die Welt schon nicht mehr ganz so grau aus.

Gerade unter solchen Umständen gilt: „ma prima, un caffè!“

Es ist so kalt, dass ich die Thermohose in meine Motorradhose einzippe und meine Jeans gegen die schwarze Tourenhose tausche und in die Stiefel schlüpfe. Um kurz nach 9 kämpft sich die Sonne durch die Wolken, es dauert aber, bis es wirklich hell und warm wird. Obwohl ich mir beim packen viel Zeit lasse, habe ich keine große Hoffnung mehr, das Zelt trocknen zu können, ich packe es so nass ein, wie es eben ist. Schlafsack und Isomatte kann ich immerhin trocken verpacken. Trotz der Kälte habe ich fast Lust nochmal zu campen, ich brauche aber Strom für die Kameras und möchte in Benešov (Beneschau) sowieso in die Stadt, werde mir daher unterwegs ein Hotel buchen. Dick eingepackt verlasse ich den Campingplatz, auf dem sich erst jetzt gegen 10 etwas rührt. So richtig gute Laune habe ich irgendwie nicht und weiß auch nicht warum. Ich fahre auf der anderen Seite der Elbe wieder Richtung Süden, folge wieder Kleinststraßen durch Kleinstdörfer und über sanft geschwungene Hügel, links und rechts wieder das satte Grün der Weiden. Ich halte kurz an um das Windschild zu verstellen, da hält ein Pickup samt Anhänger neben mir. Der Fahrer wird nicht viel älter sein als ich und fragt irgendetwas auf Tschechisch. Als ich auf Englisch erwidere, fragt er in gutem Englisch besorgt, ob alles in Ordnung sei. Ich muss wohl sehr unglücklich aussehen, denn er wiederholt die Frage nochmal. Ich finde das unglaublich nett und bedanke mich sehr herzlich, zumindest hoffe ich, dass es so rüberkommt.

Vonwegen Hinterland, selbst kleine Straßen sind in Tschechien meist in sehr gutem Zustand

Mit den fast leeren Akkus bin ich nach wie vor sparsam mit den Fotos, ich entdecke aber eine gute Stelle für meine Hommage an Ted Simon, bzw. das Titelfoto von „Jupiter’s Travels“. Ich finde das zumindest witzig, auch wenn ich gerade das komplette Gegenteil zu seiner jahrelangen Weltreise mache. Fotos nachzuahmen kann billig wirken, dabei lernt man aber immerhin auch immer etwas. Das Foto ziert nun meine Startseite. Ich fahre weiter und entdecke eine dieser Rastplätze mit überdachtem Holztisch und zwei Bänken, die ich bis jetzt auch nur von hier kenne. Dabei esse ich das übrig gebliebene Brot und einen der Aufstriche. Ich buche mir ein Hotel, das relativ nah am Zentrum liegt. Danach gehe ich noch die Optionen für Morgen durch, ich überlege mehr und mehr, statt der Übernachtung in Cesky Krumlov dort einen Zwischenstopp zu machen und dann weiterzufahren. Die Entscheidung vertage ich aber auf später. Ich fahre wieder durch Wälder mit interessanten Felsformationen, alles ist mit Bächen und kleinen Weihern durchzogen, hier und da taucht ein Schloss zwischen den Bäumen auf. Ich habe jedoch keine Geduld, mir sowas auch von innen anzuschauen. Vielleicht sollte ich genauso solche Sachen einfach mal machen… Bei der Routenwahl meines Garmin kann ich mich aber wirklich nicht beschweren. Ein weiter Bogen um Prag auf solchen Straßen? Perfekt. Später entpuppt sich der Wald als „Daubaer Schweiz (Kokorschiner Tal)“. Empfehlung!

Auf dem Weg zur Burg, dachte ich zumindest

Es geht noch eine Zeit lang so weiter, vorbei an idyllischen und eigentlich sehr einladenden Restaurants, Fachwerkhäusern und hoch aufragenden Felswänden, die mal zerklüftet, mal schon fast geometrisch geformt wurden. Ich entdecke nochmal einen der zahlreichen Eisenbahnübergange, den ich als weiteres bewährtes Motiv für ein Reisefoto identifiziere. Das Stativ hilft auch insofern, dass man damit (wie mit einer Spiegelreflex) automatisch eine semiprofessionelle Legitimation erhält. Dadurch ist es mir mittlerweile auch egal, was andere dabei denken, zum Beispiel auch, als ich mich vor ein paar Tagen in Eger für ein Stativ-Selfie an den Brunnen gestellt hab. Diese Hemmungen lege ich zum Glück mehr und mehr ab. Die Bilder sind es meistens wert.

Ein Fahrfoto von vorne hat noch gefehlt – hier ist es

Als ich mal wieder auf größeren Straßen und in größeren Ortschaften unterwegs bin, tanke ich auf und rede beim Bezahlen einfach Englisch, bevor ich mir wieder so eine Blöße wie gestern gebe. Ist mir wie schon gesagt lieber als anzunehmen, dass hier ja eh viele Deutsch können. Nach dem Tanken sehe ich, dass es nur noch 90 Kilometer bis zum Ziel sind, ich hätte es also auch so geschafft, vor allem beim aktuellen Verbrauch von nur 4,7 Liter. Der Tag zieht sich trotzdem, vor allem um Prag, wo spürbar mehr Verkehr ist, zumal auch hier die Schule offensichtlich um 1 aus ist. Die letzten Kilometer bis Benešov fahre ich auf einer Schnellstraße, von der Brauerei sehe ich noch nichts. Im Hotel angekommen stecke ich alles an, was aufzuladen ist. Handy, kleine Kamera, große Kamera. Die Zeit nutze ich außerdem, um schonmal ein paar Notizen festzuhalten. Am Check-In habe ich noch erfahren, dass zwar eine Hochzeit gefeiert wird, ein anderer Teil des Restaurants aber offen ist. Gut zu wissen. Zuerst werde ich aber zur Brauerei laufen, und wenn es nur für ein Foto ist. Die war nämlich der Vorwand für den Trip. Streng genommen war es sogar ein Bierdeckel der Brauerei, den ich auf einer Grillparty in Stuttgart entdeckt habe. Bei der anschließenden Recherche habe ich festgestellt, dass die Brauerei Ferdinand nah genug liegt, um sie in eine Tschechientour einzubauen. Und daher laufe ich jetzt die rund 1,5 Kilometer zur Pivovar Ferdinand, danach suche ich ein passendes „Restaurace“ auf, im besten Fall eines, wo das lokale Bier auch serviert wird.

been there, done that. Aber wie es schmeckt bleibt noch offen…

Bei der Suche nach dem Restaurant schlendere ich am Rande des Zentrums, denn das brauereieigene Restaurace U Ferdinandu, das ich eigentlich besuchen wollte, sieht noch zu aus. In der Nähe liegt aber das „Švejk restaurant Benešov“ mit dem Volkshelden Schwejk im Logo, das ganz sympathisch wirkt. Leider ist es wohl eines der wenigen Restaurants, das kein Ferdinand-Bier serviert. Dafür fast alle anderen, weshalb ich zuerst mal wieder ein Kozel probiere. Ich fühle mich noch nicht so richtig wohl, denn ich sitze draußen, wo nur wenige Tische stehen. Und schräg gegenüber sitzen vier Tschechen, die offensichtlich schon ein paar Pivo mehr intus haben als ich. Als dann zwei Damen am Nachbartisch Platz nehmen, startet mein Unterhaltungsprogramm. Denn kurz nachdem die Damen ihre im Eimer gekühlte Flasche Weißwein bekommen haben, schwingt sich einer der Jungs rüber und möchte eine Runde Jägermeister bestellen. Ich rechne mit einer Abfuhr und sehe kurz darauf das Gegenteil. Dann wird wieder der Handylautsprecher mit Musik aus Youtube gequält, deren hohe Lautstärke man erst wahrnimmt, wenn die Musik kurz weg ist. Was soll man machen. Ich kämpfe mich inzwischen durch die tschechische Karte, die ich wohl durch ein Missverständniss bekommen habe, jetzt aber auch nicht mehr fragen möchte. Ich ahne es schon, übersetze den ein oder anderen Begriff und erkundige mich schlußendlich bei der Kellnerin. Der Salat mit Ziegenkäse ist alternativlos. Auch ok, wirklich. Ich beschwere mich nie bei solchen Gelegenheiten, es gibt aber oft genug gute fleischlose Alternativen, weshalb ich es nicht einsehe, bayrische / böhmische oder sonstige Gasthäuser von vornherein zu vermeiden. Am Nachbartisch sind sie mittlerweile zu viert, es werden „ahojs“ und Namen ausgetauscht.

Ok, ich herkenne irgendwas Gegrilltes, Schaschlik, Salat… Dessert!

Das Essen sieht aber nicht nach Notlösung aus, sondern ist ein richtig gutes und vollwertiges Abendessen, denn es sind auch ein paar Scheiben Toast dabei. Mit einem zweiten Bier (Pilsner Urquell, keine Experimente) und anderen Gästen um mich herum fühle ich mich auch wohl und genieße nach wie vor das Schauspiel, das mittlerweile auch die zunächst Sitzengebliebenen, etwas deplatziert wirkenden Anzugträger am Tisch mit einschließt. Ich bekomme eine „Vanilla Ice“-Erklärung zum Song „Ice Ice Baby“ mit und denke an eine Szene im Italienurlaub, als ein schmierig wirkender Typ am Nachbartisch das Lied „Sex Bomb“ leise mitsingt, nur um nach einer kurzen Pause seinem Gegenüber eine adäquate Übersetzung zu liefern: „Bomba Sex“. Ich musste mich sehr zusammenreißen. Danach werden noch Klassiker wie „Goostbasstrrrs“ aufgelegt und schmerzhaft mitgepfiffen. Ich bin daher ganz froh, als ich zahlen kann. Die nette, aber mit mir wahrscheinlich genauso überforderte Kellnerin ist es wahrscheinlich auch. Außerdem ist es schon seit dem ersten Bier viel zu kalt für Jeans und Pullover. Ich habe mich außerdem entschieden und werde morgen zurückfahren. Zum einen sind es nicht einmal 200 Kilometer bis Cesky Krumlov, zum anderen sind es von dort aus auch nicht mehr als drei Stunden bis Freising. Eines muss ich in der Früh aber noch erledigen: Ein Bier kaufen!

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