- Abschnitt: Freising – Nebřich
- Zeit: 14:00 bis 20:00 Uhr
- Tageskilometer: 330
- Kilometer insgesamt: 330

Wie an anderer Stelle beschrieben, gibt mir ein beliebtes Mittelalter-Rollenspiel einen guten Vorwand, mal wieder in die böhmischen Hügellandschaften zu fahren. Diesen Plan hatte ich bereits ab März ins Auge gefasst, aber da es die letzten vier Monate gefühlt nur geregnet hat, wurde daraus Anfang Juni. Mit, für meine Verhältnisse, ungewohnt kurzem Vorlauf von nur wenigen Tagen. Und so rolle ich am Freitagnachmittag in der ungewohnt knalligen Sonne auf der A 92 dahin, Richtung Osten. Das einzige, was mir eine Notiz wert ist, ist das Kernkraftwerk Isar 2, das mir dadurch auffällt, dass es zum ersten Mal in meinem Leben keine Wolken ausstößt. Schnell erreiche ich den Bayerischen Wald und Bayerisch Eisenstein, das ich immer mit dem Schullandheim in der vierten Klasse und der Entdeckung der Mikado-Schokosticks verbinden werde. Die dortige „letzte Tankstelle vor der Grenze“ wirkt wie eine Warnung aus einer anderen Zeit, ich nutze die Gelegenheit trotzdem, das habe ich mir während der letzten Balkanreise irgendwie angewöhnt. Ich sitze schon wieder auf der gelb-grauen Sitzbank, als mich eine Omi um Hilfe bittet, denn das wäre das erste Mal, dass sie „SB“ tankt. Ich helfe ihr gerne durch den (an sich selbsterklärenden) Touchscreen und ernte so ein leicht verdientes Dankeschön. Vorsichtshalber setzt sie das Tanklimit trotzdem auf 20 Euro.

Ich habe keinen Stress, aber mal schauen, wie weit ich heute komme. Ich habe schon versucht, ohne Gepäckrolle auszukommen, da mir die beiden Alu-Koffer für zwei Übernachtungen schon affig vorkommen. Aber Camping- und Fotoausrüstung braucht eben Platz. Beinahe hätte ich das Stativ daheim gelassen. So richtig nach Urlaub fühlt sich das nicht an, aber immerhin: Tschechien wird, wie immer, mit jedem Kilometer besser. Beziehungsweise nachdem man die Grenzdörfer hinter sich gelassen hat. Sie locken mit den üblichen Böhmerwald-Souvenierständen, Asia-Bazar-Märkten, Casinos und ein Geschäft wirbt mit „billigste Zigaretten“. Ich bin froh, als ich nach Hartmanice abbiege und am Rand des Böhmerwalds entlang fahre. Dann kommen wieder die typischen Dörfer in Sicht, mit ihren niedrigen, farbenfroh gestrichenen Häusern. Gedanklich fährt das Motto Mittelalter mehr oder weniger mit, und so komme ich auf die Idee, dass meine Tagesetappe zu Feudalzeiten wohl in Landshut geendet hätte. Wenn ich privilegiert genug gewesen wäre, ein Pferd zu reiten, dann wäre ich wohl noch etwas weiter gekommen. Mit den 105 Pferdestärken meines eisernen (und kunststofflichen) Schlachtrosses würde ich noch viel weiter kommen, aber grob peile ich für heute Benešov an, mir halbwegs gut bekannt aus meiner letzten Böhmenreise.

Durch große und kleine Städte fallen mir wieder die Kontraste auf, die mir an Tschechien so gefallen, darum bin ich für jeden Ampelstopp dankbar, denn das gibt mir Zeit, die Eindrücke zu sortieren. Hier klassische k.u.k.-Architektur, mal mehr, mal weniger gut erhalten, oft schöne Villen, dort einfache Bauernhäuser aus ähnlichen Zeiten, dann wieder typische Ostblock-Plattenbauten. Immerhin meistens auch bunt gestrichen. Gute Straßen, schlechte Straßen und Vorfahrtsschilder, die sich oft erst auf den zweiten Blick erschließen. Ja, Urlaub daheim mag schön und gut sein. Vor allem, wenn sich die Landschaft so ähnelt. Aber Urlaub woanders bedeutet eben auch: Eine andere Sprache, evtl. eine andere Währung, andere Schilder, andere Gepflogenheiten. Ich will den Trip bei aller Spontanität nicht als Mikroabenteuer betiteln, aber bevor ich für ein Wochenende in die Fränkische Schweiz oder in den Bayerischen Wald fahre, verlasse ich lieber (wenn auch nur um wenige Zentimeter) meine Komfortzone. Apropos: Es wird langsam spät und da ich keine Ahnung habe, wie lange die Geschäfte hier auf haben (ok, im Zweifelsfall haben die Geschäfte überall länger auf, als in Bayern), steuere ich im nächsten größeren Ort einen Supermarkt an. Lidl oder Penny? Beides keine Favoriten, aber ich entscheide mich für den Lidl. Auch hier habe ich mittlerweile meinen Modus Operandi für Campingurlaube und kaufe mir häufig frische Pasta oder Gebäck und Aufstriche.

Bevor ich in den Lidl stiefel, holt mich ein tschechischer Motocyklist mit „Ahoj“ aus meiner Komfortzone und bewundert meine GS, „good, good“. Mangels Englischkenntnissen seinerseits und Tschechischkenntnissen meinerseits (ich habe tagelang mein Reisewörterbuch gesucht und nicht gefunden), füllt Zeichensprache den Rest aus. Er deutet fragend auf den ESA-Ausgleichsbehälter (oder Stellmotor? Keine Ahnung), ich versuche ihm mit den Händen die Funktion zu erklären. Mit den Worten „Veteran. GS“ wischt er durch die Bildergalerie seines Handys. Ich erwarte eine G/S, doch er zeigt mir eine orange-schwarze 1150 GS Adventure, die ich natürlich auch gut finde. Dann verabschiedet er sich, tritt seine rot-silberne Jawa an und knattert zweitaktend vom Lidl-Parkplatz. Das einzige tschechische, das wenige Minuten später in meinem Einkaufswagen landet, ist eine Dose Pilsner Urquell, bei der Hauptspeise bleibe ich bei der bewährten Gnocchi-Arrabiata-Kombi. Dazu noch ein paar Kekse und Wasser für die Bialetti. Ich fahre weiter durch das grüne Hügelmeer, das scheinbar jeden Grünton auf der Skala spielen kann und in der Abendsonne besonders leuchtet.

Unterwegs habe ich bereits ein paar Campingplätze gescoutet und finde einen im Wald, der mir sehr sympathisch ist. Die Sonne hüllt alles in warmes und weiches Licht und ich freue mich schon, mein Zelt aufzustellen. Ich überquere zum dritten und vorerst letzten Mal die Moldau und biege links in den Wald ab. Noch viel später und es wäre kein ganz so entspannter Abend mehr geworden.

Ich bezahle am Check-In aus meiner schwarzen Kasse übrigebliebener Kronen (aus dem letzten Tschechienurlaub, immerhin fast 500 Kronen, also etwas über 20 Euro). Mit rund 11,50 Euro ein günstiges Vergnügen. Trotz Nebensaison sind die besten Plätze am Wasser schon besetzt, aber ich finde ein schönes Plätzchen mit viel Ellbogenfreiheit, baue routiniert das Zelt auf und genieße mein noch ausreichend temperiertes Pilsner Urquell und eine warme Dusche. So weit, so gut. Morgen will ich die Gegend um Sasau erkunden, was ungefähr eine Stunde von hier liegt. Das dortige Kloster ist Pflicht, damit ich mir nicht nur wieder alles von außen anschaue. Und für alles andere habe ich im Prinzip den ganzen Tag Zeit. Natürlich hatten, wie im Falle von „DayZ“ schon andere Fans die Idee, Spiel und Wirklichkeit zu vergleichen und in Videos zu dokumentieren. Aber das mit eigenen Augen zu sehen, ist mir eben trotzdem eine Reise wert.
