Smartphones, Tablets, Navis, E-Books, Smarthomes, Smart-x… vieles, was früher nur in Science-Fiction Filmen über die Zukunft vorkam, ist mittlerweile Alltagsgegenstand geworden. Die Technologie erleichtert einem fast alles, um mehr Zeit für die „wichtigen“ Dinge zu haben. Sollte man zumindest meinen. Aber gibt es einen Punkt, an dem Menschen zu viel abgenommen wird und man in Panik verfällt, wenn es mal nicht funktioniert? Oder sogar mehr Stress als vorher hat? Und das nicht einmal merkt, weil das Körpergefühl dank Fitness-App verloren gegangen ist?
In einem TV-Beitrag sah ich letztens zufällig den Chef eines japanischen Konzerns, der jeden Morgen mit seinen Angestellten einen Putz- und Kehrmarathon auf dem Firmengelände veranstaltet. Neben der Stärkung des Teamgeists wurde auch die These aufgestellt, dass derartige monotone Arbeiten, ähnlich einer Zen-Meditation, Zeit zur Reflexion und zum Nachdenken böten. Und genau diese Zeit würde heutzutage keiner mehr haben, da jeder möglichst wenig Zeit verschwenden will und daher lauter Dinge erfunden wurden. Paradoxerweise scheint diese Rechnung nicht aufzugehen.
In eine ähnliche Kerbe schlug ein Artikel im englischen Telegraph, dessen Quintessenz war: Das halbstündige zur Arbeit gehen sei viel stressfreier (und natürlich gesünder), als sich in der Hälfte der Zeit in Bus und Bahn zu quetschen um im Sitz zusammengekauert aufs Handy zu starren. Den Rest kann man sich dazu denken. Nur schnell E-Mails checken, ein paar schwachsinnige Social-Media-Binsenweisheiten liken, sich von den letzten Urlaubsfotos beeindrucken lassen und den Wetterbericht anschauen, statt aus dem Fenster. Oh nein, jetzt hab ich doch glatt den Selfie-Stick daheim liegen lassen…
Schon ohne Fernreisegedanken hatte ich Abstand vom permanenten Smartphone-Wahn genommen. Doch fehlende Netzinfrastruktur, viel Zeit „draußen“ und eventuell problematische Stromversorgung gaben den Anstoß, mir ein altes Nokia-Outdoorhandy zu besorgen. Seitdem habe ich weiter „dezentralisiert“. Ein Kalender ist ein kleiner Papierkalender und keine App, eine Kamera ist eine robuste, wasserfeste Kamera und meine „Maps“ sind verteilt auf GPS-Navigationssystem, Karte und Kompass. Im verbundenen Einsatz nutze ich praktisch alle Vorteile und dezimiere die Nachteile. Konnektivität im besten Sinne. Natürlich gibt es auch robuste und wasserfeste Smartphones, mir geht es aber eher ums Prinzip. Und darum, mir Zeit zu nehmen um eine Route auf der Karte zu planen statt einfach „Start“ und „Ziel“ einzutippen.
Das Neue hat oft seine Daseinsberechtigung. Auch ich kann die Leserbriefe in der MOTORRAD nicht mehr lesen, laut denen früher alles besser war. Die Gefahren, Probleme oder Streitpunkte liegen viel mehr an mangelnder Reflexion. Sicherlich gibt einem der „Rain“-Fahrmodus ein gutes Gefühl in nassen Kurven. Natürlich lassen sich viele Sachen per Whatsapp einfacher organisieren. Aber wenn eine Chatgruppe mit über 50 Studenten mehr Verwirrung als alles andere stiftet, statt einem kurzen Anruf Romane geschrieben werden und sich das Gefühl für die Straße immer weiter zurückentwickelt, sollten Gewohnheiten vielleicht auch mal hinterfragt werden.
Was das mit Motorradfahren zu tun hat? Je nach Perspektive eine ganze Menge. Selbst in Zeiten von Schräglagen-ABS, Traktionskontrollen und vierfacher Fahrmodi ist Motorradfahren eine relativ direkte Erfahrung, mehr oder weniger wie vor einhundert Jahren. Und manchmal auch durchaus meditativ. Unabhängig von der um sich greifenden Technisierung wird es daher wohl immer Motorräder geben, die ähnlich funktionieren. Egal ob sie 1930, 1970 oder 2015 gebaut wurden. Dass sich also viele Hersteller wieder auf ihre Wurzeln besinnen und immer mehr Café Racer, Scrambler oder Bonnevilles verkauft werden, ist wohl auch ein Stück weit eigenverschuldet.
Die Welt ist nicht schwarz und weiß, nicht gut und böse. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Und Technik und Technologie wird daher auch immer das sein, was der Mensch daraus macht.