Wenn es nach Jahren mal wieder einen neuen „Testride“ gibt, dann muss das wohl einen besonderen Anlass geben. Stimmt. Die HP2 Enduro wurde dieses Jahr (2025) 20 Jahre alt. Auch wenn BMW das „HP“-Label längst begraben hat, aktuelle Boxer deutlich mehr PS und Druck bieten und eine zunehmende Ersatzteilknappheit den Einsatzzweck gefährden, bleibt sie etwas ganz Besonderes. Aber vielleicht bin ich als frischer Besitzer auch befangen.

What’s the excitement? (Lesung aus MOTORRAD BMW Spezial 1/2025)
Allein durch Sitzhöhe (über 900 Millimeter) und Preis (16 000, damals noch schwerer wiegende Euro) war schon zur Markteinführung 2005 ein gewisser Exotenstatus gesichert – zum Vergleich: Selbst eine ordentlich ausgestattete R 1200 GS war gut 2500 Euro günstiger und objektiv das deutlich vielseitigere Motorrad. Aber darum ging es gar nicht. Was die HP2 so begehrenswert macht, ist auch 20 Jahre später schwierig zu beantworten – denn auch gebraucht wird sie zum Neupreis (und teurer) gehandelt. Erster Erklärungsansatz: Selten wurde eine zulassungsfähige Boxer-BMW so konsequent fürs Gelände entwickelt – man muss kein Insider sein, um zu sehen, dass sie keine Style-Variante der GS war, sondern ein kompromissloses Konzept, das es bis dahin weder bei BMW, noch anderswo gab. Ähnlich verrückt war nur die kurze Zeit später erschienene KTM 950 Super Enduro. Dazu kamen Leichtbaumaßnahmen, die oft im Verborgenen blieben, zum Beispiel in Form der fehlenden Ausgleichswelle oder beim Auspuff – da BMW keine Koffer anbot, musste auf entsprechende Dämmung keine Rücksicht genommen werden. Auch ABS oder Traktionskontrolle, damals schon de-facto Standard, sucht man vergebens. Dass all diese Maßnahmen das Gewicht unter die magische 200-Kilo-Marke drückten, ist ein weiteres Highlight der Edel-Enduro. Auch die Entstehungsgeschichte hat etwas Magisches, denn die HP2 wurde von einem kleinen Team aus Enthusiasten für Enthusiasten entwickelt, außerhalb üblicher BMW-Prozesse und inklusive diverser Härtetests in Spanien und Südafrika. Den naheliegenden Vergleich zu den vierrädrigen M-Modellen zog BMW selbst. Das Endprodukt war ein Statement auf Stollenreifen – für die damals noch vielen als bieder geltende Marke BMW, aber auch für jeden, der sich das Motorrad leisten konnte. Ein puristischer Exot, der sich trotzdem auf ein großes Händlernetzwerk, die Qualitätssicherung und Teileversorgung eines renommierten Herstellers stützen durfte.

Konnte das Konzept auch außerhalb der Showrooms überzeugen? Oh ja. Werkseinsätze beim Erzberg Rodeo und der German Cross Country-Meisterschaft bewiesen, dass die Boxer-Enduro zu spektakulären Drifts, Sprüngen und Top-Platzierungen fähig war – zumindest, wenn Simo Kirssi oder Chris Pfeiffer in den Rasten standen. Trotzdem spürten auch Normalsterbliche nach wenigen Metern, wie leichtfüßig die HP2 im Gelände tänzelt, unterstützt vom schubstarken und fein dosierbarem Boxer, der wie eh und je mit tiefem Schwerpunkt punktet. Natürlich setzten die ausladenden Zylinder Grenzen, auch Kardanreaktionen und das Luftfederbein forderten eine gewisse Umgewöhnung. Doch unterm Strich konnte man die namensgebende „High Performance“ durchaus beim Wort nehmen, auch wenn der Einsatzzweck dieser Power-Enduro sehr spitz war. Wenngleich nicht wenige HP2 auch für den Einsatz als Reiseenduro mit Alu-Koffern vom Zubehöranbieter und größeren Tanks umgerüstet wurden.
Nach nicht einmal 3000 Exemplaren und rund zwei Jahren Bauzeit war Schluss – die Zielgruppe war klein und eine gewisse Exklusivität Teil des Konzepts. 2007 folgte die eng verwandte, noch etwas edlere HP2 Megamoto mit 113 PS, 202 Kilo, Doppelscheibenbremse, 17-Zoll-Gussrädern und Öhlins-Federbein. Letzter Aufschlag 2008: die HP2 Sport, die allerdings auf dem Sportboxer R 1200 S basierte. Die am teuersten (wenn auch nur mit geringem Abstand) gehandelte HP2 bleibt aber die Enduro. Rein technisch lässt sich das aus heutiger Sicht nur teilweise rechtfertigen. Leichtbau hin oder her, der spezielle Boxercharakter, spartanischer Fahrkomfort, knappe Reichweite, Einscheibenbremse und Luftfederbein hinterlassen bei Unvoreingenommenen spätestens beim Blick auf das Preisschild große Fragezeichen – schließlich finden Geländefans heute top ausgestattete, aber deutlich günstigere Mittelklasse-Enduros mit ähnlichen Eckdaten. Nein, das Faszinosum HP2 lässt sich auch 20 Jahre später nur teilweise erklären, egal, ob sie als Garagengold bei Sammlern steht oder nach wie vor bei Rallyes und Reisen im Gelände bewegt wird – trotz des schrumpfenden Ersatzteilangebots. Diese Superenduro ist und bleibt ein ergreifendes Motorrad, das für sich, aber auch für eine besondere Zeit bei BMW steht. Und eines, das es in dieser puristischen Form nie wieder geben wird.
Mein Weg zur HP2
So weit, so gut. Und wem dieser Text bekannt vorkommt: Im MOTORRAD BMW Spezial 1/2025 habe ich mich schon ausführlich über die HP2 ausgelassen und sie im Zuge der Recherche noch mehr zu schätzen gelernt. Dass diese Maschine speziell ist, wusste ich allerdings schon vor meinem Führerschein, schließlich stand oder fuhr sie bereits seit vielen Jahren in der Familie. Auch bei meiner ersten Mini-Tour nach Slowenien mit der Sertao war die HP2 dabei. Kurz danach bin ich sie auch schon das erste Mal gefahren – allerdings, und das wundert mich mittlerweile sehr, erinnere ich mich kaum noch an diese Kilometer. Ich muss wohl sehr verhalten gefahren sein. Oder hatte damals einfach noch gar keine Antennen für Unterschiede im Fahrverhalten. Jetzt würde ich die HP2 blind von meiner GS unterscheiden können. Dafür würde sogar ein Dreh am Gasgriff reichen. So oder so: Die Lücke zwischen „was ich kann“ und „was das Motorrad kann“ war selten größer, damals wie heute. Jedenfalls schlich ich die letzten Jahre immer ganz ehrfürchtig um dieses seltene Wesen, wenn es in der Werkstatt so selbstbewusst und vollkommen selbsterklärend auf dem Seitenständer stand.

Prüfauftrag für das Kartellamt
Als die HP2 dann als „Erbstück“ in meinen Fuhrpark kam (natürlich auf dem edlen Schmiedefelgensatz, der daraus fast ein zweites Motorrad macht), wurde mir zum ersten Mal so richtig bewusst, was ich da unter mir hatte. Mittlerweile konnte ich das Gesamtpaket nämlich auch in einen viel besseren Kontext setzen. Und die eigentlich so geniale F 900 GS, die ich kurz davor probegefahren bin, war ziemlich schnell vergessen. So kräftig, so handlich, so erhaben – die HP2 war verglichen damit ganz großes Kino, selbst auf der kurzen Strecke zwischen Werkstatt und Zuhause. Aber wie würde sich das mit meinem perfekt austarierten Duopol zwischen 650er-Einzylinder und 1200er-GS vertragen?

Tja, erstaunlich gut. Auch wenn es wie einst beim Kauf der Xchallenge zu ernsthaften Verkaufsgedanken kam. Damals musste die Sertao weichen. Weil die Xchallenge einfach so viel spaßiger war und mir die handfesten Vorteile der eng verwandten Sertao nicht wichtig waren. Mit der HP2 und der R 1200 GS stand nun eine ähnliche Paarung (leichtes, radikales aber wenig komfortables Schwestermodell) in der Garage, nur, dass es dieses Mal kein Einzylinder, sondern ein Boxer war. Durch die vielen Erlebnisse und das absolute Universaltalent der GS war das jedoch kein Thema. Klar, nach dem direktem Umstieg wirkt der GS-Boxer zunächst wenig feurig und jedes der 40 bis 50 Zusatzkilos ist umso präsenter. Aber egal, die ach so vernünftige und langweilige GS macht mir immer noch genauso Spaß, gefällt mir immer noch genauso gut. Daran änderte keine Begegnung mit der neueren 1250er GS etwas – und auch die HP2 nichts. Zwischendurch war eher die 650er gefährdet. Aber das ist ein Thema, über das ich schon zu viele Male in die Tasten gehauen habe.

Auf einer Dienstreise ins Weserbergland (für RIDE), bei der ich auch zum Twinduro-Treff fuhr, konnte ich die HP2 dann auch als Reisemotorrad genießen. Mit passendem Gepäcksystem war Platz für Camping- und Fotoausrüstung. Deutlich weniger komfortabel als beim Alu-Koffer-Setup der GS, aber dafür kompakt und leicht. Passend zum Motorrad eben. Die im Vergleich zur GS schwache Einscheibenbremse und das fehlende ABS mahnen schon zu größerer Vorsicht, das immer noch hohe Gewicht bewahrt mich im Gelände vor Übermut. Und trotzdem macht es verdammt viel Spaß, egal, auf welchen Untergrund sich die Stollen anschmiegen – weil Leistung und Drehmoment im Überfluss vorhanden sind und das Handling so viel Vertrauen schenkt – so viel, dass ich doch immer wieder mit kleinem Lupfen des Gasgriffs über Schlaglöcher fliege und mich beim Stehendfahren und weit nach vorne lehnen zwischendurch fahrerisch so kompetent fühle, wie ich gern wäre. Und auf Pisten wird das fehlende ABS übrigens zum Vorteil: Denn zu dieser Zeit (und das betrifft daher auch meine anderen Motorräder) hat man das ABS im Zweifel doch lieber deaktiviert.

Schwächen? Ja, klar!
Trotz der Lobhudelei – die HP2 ist nichts für jeden. Und das liegt nicht nur an den Gebrauchtpreisen oder der Sitzhöhe. Wie bei der eng verwandten GS sind es vor allem die Eigenheiten des Boxers und des Kardans, die man liebt und schätzt, oder eben nicht. Ausladende Zylinder, teils harte Lastwechsel, eine nicht unendlich strapazierfähige Trockenkupplung, ein Überfluss an Power und (egal wie gut ausbalancierte) 198,X Kilogramm setzen dem Motorrad im Gelände trotzdem Grenzen. Der Tank ist fürs Reisen eigentlich viel zu klein, die Gepäckmöglichkeiten sind ebenfalls begrenzt. Und zu allem Überfluss gibt’s immer weniger Ersatzteile (woher kennen wir das bloß) – zumindest wenn es um modellspezifische Teile, beispielsweise Verkleidung etc. geht. Auch das bremst ein wenig die Ambitionen und torpediert den Einsatzzweck, für den die HP2 eigentlich mal geschaffen wurde. Wie bei jedem Exoten muss das jeder für sich selbst ausmachen – ein Zweitmotorrad als Ersatzteilspender zu haben gehört in der Szene wohl zum guten Ton. Auch wenn mir dafür nun wirklich das Geld fehlt. Aber ich möchte nicht klagen – nur sagen: So begehrenswert die HP2 auf viele wirkt: Auch eine „High-Performance“-BMW hat Macken und kleine Schwächen. Vor allem mit zunehmenden Alter.

Mein Fazit
Wenn große Hersteller über ihren Schatten springen, entstehen manchmal legendäre Motorräder. Die HP2 wird diesem Ruf gerecht, punktet darüber hinaus mit weitgehend bewährter Großserientechnik und ist zudem schrauberfreundlich. Wie üblich bei Exoten hat das seinen Preis, in diesem Fall buchstäblich: hohe Eintrittshürde, teils leere Ersatzteilregale und ein noch viel kleineres Zubehörangebot. Ob sich das lohnt und es gerechtfertigt ist, so viele Scheine für eine 20 Jahre alte XL-Sportenduro hinzulegen, muss jeder selbst entscheiden. Ich bin froh, dieses Motorrad besitzen zu dürfen. Und zu wissen: So schön eine gerade vorgestellte R 12 G/S ist, so performant eine F 900 GS fährt oder dass jede Ténéré 700 viel vernünftiger wäre: Eine HP2 bleibt eben etwas ganz Besonderes.
P.S. wie üblich dürfte auch dieser Beitrag im Laufe der Zeit reifen und noch mehrfach überarbeitet werden

Was ich an der HP2 liebe …
- Der bis heute leichteste Vierventilboxer
- Kräftiger, gutmütiger, sparsamer und kaum abwürgbarer Boxer
- Relativ leichtes Handling auf und abseits der Straße
- Schenkt viel Vertrauen
- Trotz Endurofokus praktische Details wie Heizgriffe oder Bordsteckdose
- Schrauberfreundlich
- Komfortabel genug fürs Reisen
- Geniale Sitzposition
- Wie ich finde geradezu geniales, zeitloses und selbsterklärendes Design
Kleine Schwächen, die man unter „Charakter“ verbuchen kann…
- Keine Tankanzeige
- Wie bei der GS anfälliger Endantrieb, auf den man ein Auge haben sollte
- Harte und klonkende Lastwechsel
- Teileknappheit
- Schwaches Licht
- Wird immer mehr als ich können…
Auf dem Papier (Modelljahr 2005)
- 1170 ccm Zweizylinder-Boxer, Einspritzung, Luft- /ölgekühlt
- 105 PS bei 7000 rpm und 115 Nm bei 5750 rpm
- Nasssumpfschmierung
- Sechsgang, Kardan, ca. 210 km/h
- Gewicht vollgetankt: 198 kg (MOTORRAD-Messwert, Serie mit Luftfederbein)
- 13 l Tank, Verbauch zwischen 5 und 6 l/100 km, Reichweite zwischen 200 bis 250 km
- Gitterrohrrahmen aus Stahl
- Fahrwerk vorne: 45 mm Upside-down-Gabel mit 270 mm Federweg, 90/90-21 Reifen
- Fahrwerk hinten: Einarmschwinge, Luftfederbein und Paralever, 250 mm Federweg, 140/80-17 Reifen
- Sitzhöhe 920 mm
- Bremsen: Doppelkolben-Schwimmsattel, Einzelscheibe 305 mm vorne, Einzelscheibe 265 mm hinten,
- 620 W Lichtmaschine
- Service: alle 10 000 km
- Preis gebraucht: ab 16 000 €
Zubehör
- Trotz der exotischen Stückzahl gab es einst viel Zubehör, um die HP2 etwas reisetauglicher und robuster zu machen, vor allem:
- Motorschutz, Sturzbügel (ab Werk war das Maximum der kleine Motorschutz und die Kunststoff-Schützer für die Ventildeckel)
- Windschild, teils in Verbindung mit anderer Lampenmaske
- Kofferträger
- Nachrüstfahrwerk
- Mittlerweile ist das meiste nur noch gebraucht erhältlich und auch modellspezifische Ersatzteile sind nur noch teilweise bei BMW verfügbar
Vergleichbare Motorräder
- KTM 950 Superenduro