Long Way Up

Endlich. Nach gut zwölf Jahren Funkstille war 2019 endlich klar: Es gibt eine weitere Reise-Doku mit Ewan McGregor und Charley Boorman – Long Way Up. Wenig überraschend ging die Reise dieses Mal durch Süd- und Mittelamerika, von Ushuaia nach Los Angeles. Überraschender: Nicht auf mittlerweile wassergekühlten GS, sondern auf elektrischen Harleys. Gut vier Jahre nach der Premiere habe ich es dann auch mal geschafft, die elfteilige Serie anzuschauen und zusammenzufassen, ob mich Teil III auch zum Führerschein gebracht hätte. Wer sich komplett überraschen lassen will, sollte hier vielleicht nicht weiterlesen.

Prolog: Die Paywall

Warum es so lang gedauert hat? Weil ich, wie viele andere, auch im Jahre 2024 nach wie vor auf die DVD-Version gewartet habe. Die steht zwar schon seit Jahren im Online-Shop, bzw. man kann sich per Mail darüber informieren lassen, wenn sie bestellbar ist. Doch bis jetzt kam keine deratige E-Mail. Aus beruflichen Gründen (ja wirklich) sah ich mich nun gezwungen, meinen Boykott von Apple TV+ aufzugeben. Denn Long Way Up ist die erste Serie, die exklusiv für Apple produziert wurde und bis heute ausschließlich dort zu sehen ist. Dass die Serie damit im Streaming-Zeitalter angekommen ist, hat Vor- und Nachteile und ist das erste, was Teil III von den früheren Serienteilen unterscheidet. Diese gibt’s nun ebenfalls bei Apfel TV. Bequem. Was mir als (zugegebenermaßen) Hardcore-Fan aber sofort aufgefallen ist und wirklich fehlt, ist das Bonusmaterial. Aber egal, ich wollte ja LWU sehen, und darum soll es nun auch endlich gehen.

Same,…

Die Serie bleibt dem Grundrezept treu – das war bereits nach dem ersten Teaser klar. Zwei mehr und weniger prominente Motorradkumpel machen eine dreimonatige Reise. Die Reise wird von einem dritten Motorradfahrer gefilmt, zusätzlich agiert ein Produktionsteam im Hintergrund, die in zwei Pick-Ups mitreisen, weitere Filmer dabei haben und die immense Logistik stemmen, die so ein Unternehmen mit sich bringt. Auf dem Weg gibt’s Fahreindrücke, Sightseeing, das tägliche Leben im Sattel, Pannen, Nachtfahrten [obwohl man das ja eigentlich vermeiden wollte], tolle Landschaften, Besuche von UNICEF-Projekten und Grenzkontrollen, die jedes Mal unkalkulierbar sind. Das findet man cool, oder eben nicht, und daran hat sich auch nichts geändert. Wer die Serie (und deren Ableger) mag, freut sich über das Wiedersehen fast so, wie bei einer Begegnung mit alten Schulfreunden, mit denen man sich sofort wieder versteht und sich wundert, warum man sich überhaupt aus den Augen verloren hat. Nur, dass eben jeder ein paar mehr Falten und ein paar mehr graue Haare bekommen hat. Sogar das Intro jeder Folge ist nahezu gleichlautend („We’re gonna give these guys video-cameras…“), und ein paar Stücke des sowieso exzellenten Soundtracks sind den älteren Serienteilen entnommen, was Fans entzückt und Neulinge nicht stört. Und nach der ersten Folge war für mich auch endlich die Frage beantwortet, warum die Reise „nur“ bis nach LA geht – weil sie schließlich Alaska und Teile Kanadas schon bei Long Way Round gefahren sind. Da hätte ich auch selbst drauf kommen können.

… but different

Wo ich bei den alten Serienteilen spätestens an der Bildqualität gemerkt habe, wie lange das schon her ist, betört Long Way Up mit top aufgelöstem Videomaterial und, natürlich, jede Menge Drohnenaufnahmen. Das ist schon ein großer Punkt für sich. Den größten Unterschied in der bekannten Rezeptur machen die Fahrzeuge: Charley und Ewan sind auf Harley-Davidson LiveWire unterwegs – ein Elektromotorrad, das damals noch Prototypenstatus hatte und selbst jetzt als Serienmodell genau zwei Eigenschaften hat, das es eigentlich völlig ungeeignet für derartige Abenteuer macht: Die geringe Reichweite und die Tatsache, dass es ein Straßenmotorrad ist. Mit der Unterstützung der Harley-Techniker werden die LiveWires aber immerhin so umgerüstet, das sie eine gewisse Schlechtwegkompetenz bekommen. Denn, auch das ist wichtig, hartes Gelände verbot sich allein schon aufgrund des ganzen Metalls, das Charley seit einem schweren Unfall im Körper trägt. Elektrisch angetrieben sind auch die „Support Vehicles“, von den Produzenten Russ und Dave gelenkt. Hier trat das Team an den US-Elektropionier Rivian, die dem Team kurzerhand zwei Prototypen mit E-Allradantrieb zur Verfügung stellte. Ob man Elektroantrieb mag oder nicht: Für dieses Wagnis muss man allen Beteiligten erstmal Respekt zollen. Zumal damit nicht missioniert wird, zumindest habe ich das so empfunden. Dass die Akkus gerade in der kalten Startphase (ausgerechnet 2019 war wohl wieder ein besonders heftiger Winter in Argentinien) keine großen Reichweiten zulassen, Ewan auch mal kurz vor Erreichen einer gleich ablegenden Fähre liegenbleibt (ja, es gibt wieder einen engen Zeitplan um eine Fähre zu erwischen) und das Team auch mal einen Laster mit Dieselgenerator einbestellen muss – okay. Darüber kann man als Petrolhead lästern, aber man muss auch sagen: Teilweise werden die Mopeds nur mit Sonnen-, Wind- oder Wasserenergie aufgeladen, bei wärmeren Temperaturen schaffen sie auch mal 130 Meilen (knapp 200 Kilometer) mit einer „Tank“füllung und je länger die Reise geht, desto eher tritt die tägliche Suche nach der Ladestation in den Hintergrund. Zumindest für den Zuschauer. „Every day is an experiment“ sagt Dave in einer der frühen Folgen, und das macht es (kein Elektro-Wortwitz) tatsächlich auch spannend. Dass die Bikes dabei klingen wie Landspeeder aus Star Wars, na gut, aber mit Softgepäck vollbeladen sehen auch die Harleys ein bisschen cool aus. Und wenn die beiden (bzw. das Trio, Kameramann Claudio ist ja wieder mit dabei, übrigens auf einer V2-Harley) dann wieder durch die Dämmerung rasen, es dabei immer kälter wird und man zunehmend Angst um die Restreichweite hat – dann ist das auch egal, denn diese Situationen hat wohl jeder Motorradreisende schon mal erlebt und sich geschworen, so etwas nie wieder zu machen (ja, genau).

Unterm Strich: Sehenswert

Und so zog mich auch Long Way Up trotz aller Vorurteile schnell in seinen Bann. Mit den packenden Landschaften Südamerikas, die ich mittlerweile schon von vielen Fotos kenne, aber die mich noch nie so gefesselt haben. Mit außerirdischen und unweltlichen Landschaften, mit gespenstischen Sandtornados in Bolivien, mit Stürzen, die man als Zuschauer dieses Mal genauso fürchtet wie die Protagonisten. Mit den Pannen der Rivians, die mal an der Software, mal an der Hardware lagen. Mit Fahrten auf weit über 4000 Metern (und dementsprechenden Auswirkungen auf Teile des Teams), mit Machu Picchu, mit einer zweitägigen Bootstour und Transporten via Flugzeug, eben Dingen, welche die Long Way-Produktionen irgendwie immer auch besonders machen. Und mit der Chemie zwischen allen Beteiligten, die den Zuschauer auch ein bisschen an dieser Reise teilhaben lässt. Was mich darüber hinaus bei der Stange hielt: Zumindest für mich blitzt bei Long Way Up eine gewisse Emotionalität durch, die frühere Serienteile so nicht hatten. Sei es durch Charleys Unfall, die lange Pause, das fortgeschrittene Alter aller Beteiligten und der durchaus rührende Rückblick um Ewans Adoptivtochter. Da mag ich auch viel hineinprojizieren. Aber ich konnte eine leicht bittersüße Melancholie durch alle Folgen hindurch schmecken.

Was für mich, auch mit ein paar Tagen Abstand, an „negativen“ Punkten übrig bleibt, trübt das Gesamtbild kaum. Schade fand ich beispielsweise, dass alles, was in der ersten Folge hinter den Kulissen bzw. als Vorbereitung passierte, sich fast nur auf die Fahrzeuge konzentrierte. Keine Trainings, kein Ausrüsten der Motorräder, kein sichtbares Visa-Drama. Eine kurze Szene Spanischunterricht ist das einzige, was herausstach. Ich mochte das an den alten Teilen, es hat mir selbst beim fünften Zuschauen noch Vorfreude bereitet. Im Gegensatz zu „früher“ wird auch wenig gecampt, was wohl an der benötigten Ladeinfrastruktur lag. Was mich aber am meisten ratlos zurückließ, war der Subplot in Oaxaca (Mexiko), wo das Team kurz vor Ende der Reise einen alten US-Schulbus ankauft, um ihn in drei Tagen nicht nur technisch flott zu kriegen, sondern auch noch so umzubauen, dass die Motorräder aufgeladen werden können und die Crew darin schlafen kann. Warum? Damit sie im von Kartellen gebeutelten Mexiko durch die Nacht durchfahren können und weniger exponierte Ziele darstellen. Es mag am Schnitt liegen, aber nach einer Nacht steht das Team bereits an der Grenze zu den USA. Nur um dort (im Wesentlichen) über den Freeway nach Los Angeles zu fahren. Dass die letzten Episoden nicht unbedingt zu den Highlights der Serien gehörten, lag wohl immer an der Geographie und einem damit verbundenen, wenig abenteuerlichem Ausklang. Bei Long Way Up ist es nach der durchaus witzigen Bus-Umbau-Aktion (Zitat Russ: „Dave’s Do Overs“), die fast schon an Pimp-my-Ride erinnert, ein ziemlicher Antiklimax. Doch selbst das wertet den bildgewaltigen Ritt vorher nicht wirklich ab.

Mein persönliches Fazit ist für mich ein bisschen wie bei Star Wars mit seiner ursprünglichen Trilogie und den neuen Episoden. Long Way Round und Long Way Down werden für mich immer besonders sein, weil ich sie gesehen habe, als sich gerade die Motorradwelt für mich geöffnet hat. Die Werkstatt-Sessions, das Endurotraining, Reiseplanung au der Landkarte, die eigentliche Reise in den fernen Länder, weit, weit weg von Zuhause… Diesen Zauber haben die Teile nie verloren, und ich bin umso glücklicher, dass ich sie auf insgesamt sechs ollen DVDs in zwei Plastikboxen habe. Long Way Up ist „objektiv“ und eigentlich auch subjektiv genauso packend und durchaus sehr emotional – aber ich habe die Serie in einer anderen Phase meines Lebens gesehen. Und wenn ich mein Apple-Abo gekündigt habe, werde ich sie erstmal nicht mehr anschauen können. Trotzdem: Ich bin froh, das endlich nachgeholt zu haben. Und damit können wir ja alle endlich wieder weiter auf den nächsten Teil warten…

Mehr Infos zu Long Way Up (sowie allen anderen Teilen) gibt es auf der offiziellen Webseite.
Aus urheberrechtlichen Gründen kann/will ich leider kein Bildmaterial direkt in den Beitrag einbinden.

2 Gedanken zu “Long Way Up

  1. wiedermal sehr schön geschrieben…wie immer : )

    Professioneller Journalismus bedeutet, einen Sachverhalt dialektisch darzulegen. Und guter Journalismus heisst, dieses noch emotional zu verpacken, zu begeistern… und zwar unabhängig von der persönlichen Meinung des Schreibers. Das machst du super.

    Es gibt leider immer mehr in eurer Zunft, die finden es viel cooler, im „Insta-Stil“ ihre persönliche, vorgefertigte Meinung dem Publikum vorzusetzen, ohne Freiraum zur Meinungsbildung. Recht hat, wer die cooleren Sprüche draufhat. Den Rest erledigt der Algorithmus.

    • Da kommt leider viel zusammen und die immer kürzer werdende Aufmerksamkeitsspanne macht es nicht besser. Und weil klassische (aber vor allem Print) Medien viel verschlafen haben, mit Influencern und allen möglichen Freizeitaktivitäten konkurrieren, buhlt man so um die Aufmerksamkeit. Man muss ja irgendwie weiter Geld verdienen. Es ist ein Dilemma, das mich auf dem Blog aber zum Glück nicht interessieren muss. 🙂

Hinterlasse eine Antwort zu Ferdinand Antwort abbrechen