Auf der Meta-Ebene hat dieser Beitrag über die jüngste „Long Way“-Serie eine für mich bemerkenswerte Ausgangslage: Während ich Teil I und II aufsaugte, als die Welt schon lange aufgehört hatte, darüber zu diskutieren (2014), war ich bei Teil III nur noch fünf Jahre zu spät dran. Bei Long Way Home war ich sicherlich nicht der Erste, der davon wusste, aber wohl einer der Ersten – ich erfuhr davon von in einem Interview mit Kameramann Claudio von Planta, fast ein Jahr vor Veröffentlichung und ein paar Wochen vor der ersten Ankündigung. Ab diesem Zeitpunkt wartete ich mit gemischten Gefühlen auf die nächste Gelegenheit, Apple TV zu abonnieren. Nachdem ich auch den letzten Zehnteiler gesehen habe, muss ich mir einiges von der Seele schreiben. Wie immer gilt: Wer die Serie unvoreingenommen sehen will, sollte hier nicht weiterlesen.
Die unvermeidbare Erwartungshaltung
Ich mache kein Hehl daraus, dass ich ein großer, aber kein fanatischer Fan der Serie bin. Es gab immer übertriebene, kitschige oder dramatisierte Szenen und grundsätzlich fragwürdige Dinge. Mit steigender Lebens- und Berufserfahrung sehe ich heute manches, was es zu sehen gibt, kritischer als damals zu Zeiten meines Führerscheins. Und dafür ist teilweise nicht mal das Marketing verantwortlich, sondern auch Halbwissende, die so tun, als wäre die GS erst mit Long Way Round zum Bestseller geworden. Aber man kann sich auch alles kaputtreden: Unterm Strich finde ich die Mischung aus Buddy-Roadmovie, Motorradfahren, Sightseeing vom Sessel aus und die hohe Produktionsqualität nach wie vor sympathisch und sehenswert. Das gilt vor allem für die „Klassiker“, aber auch für den bis dato letzten Teil, Long Way Up, der in vielerlei Hinsicht anders ist, als die frühen Reisedokus. Und deshalb auch für geteilte Reaktionen sorgte. Anders als früher war nach der Südamerika-Tour jedoch schnell klar, dass es eine weitere Serie geben würde. Durch mein Interview Mitte 2024 erfuhr ich dann die wichtigsten Eckdaten: Keine Elektromotorräder, sondern „Vintage-Bikes“ und eine Reise durch Skandinavien, das Baltikum und Mitteleuropa. Und da man derlei gerne im Kontext der Vorgängerwerke betrachtet, machten sich sofort Fragezeichen breit. Nach nach dem ersten Trailer wurden es nicht weniger. Kann das was werden? Wird es genauso packend? Oder sind die Jungs vom Weg abgekommen? Sofern ich mir so ein Urteil überhaupt anmaßen darf… denn die ursprüngliche Idee „wir filmen unsere Motorradreisen für uns, wenn wir zu alt zum Fahren sind“ steckt ja irgendwie immer noch ganz tief drin.
Die Formel funktioniert noch immer…
Am Grundrezept ändert sich nichts. Im Kern ist auch Long Way Home eine längere Motorradreise von Ewan McGregor und Charley Boorman. Während Ewan ein nach wie vor bekannter Schauspieler ist, hat Charley der Schauspielerei mittlerweile den Rücken gekehrt und ist hauptsächlich für diverse Motorradprojekte bekannt. Begleitet werden die beiden seit Long Way Round vom Schweizer Kameramann Claudio, der sich das dritte Motorrad dieses Mal mit einem weiteren Kameramann, Max, teilt. Der viel kritisierte Tross besteht (wie immer) aus zwei Allradfahrzeugen, die von den Produzenten Russ und David gelenkt werden. Neben Eindrücken von der Straße ergänzen geplante und zufällige Begegnungen, Besichtigungen und Termine bei UNICEF-Einrichtungen jede Episode. Damit ist auch klar: Wer die Serien mag, weiß, was ihn erwartet. Und wer damit bisher nichts anfangen konnte, wird durch Long Way Home erst recht nicht zum Fan. So weit, so klar.
Ab der ersten Sekunde versuchte ich, die negative Erwartungshaltung abzulegen. Es war gar nicht so schwer – das gewohnte Intro, die Chemie zwischen allen Beteiligten, spannende Blicke in Ewans Motorradsammlung, der Rückblick auf einen gebeutelten Charley im Rollstuhl, eine auf einem Tisch ausgebreitete Karte… all das zieht rein, zumindest mich. Auch die Prämisse, mit den eigenen, alten Motorrädern zu fahren, hat etwas – und vielleicht ist die Serie damit sogar ein wenig authentischer, als frühere Teile, wo BMW beziehungsweise Harley-Davidson das Material zur Verfügung stellten. Ein weiterer Aspekt war, damit das Tempo rauszunehmen und eine nicht sehr abenteuerliche Route mit etwas Risiko zu würzen. Das ist nicht meine Deutung, das wird so gesagt, wenn auch mit anderen Worten. Die weitere Vorbereitung wirkt ebenfalls bodenständiger – beide gehen in einen Outdoorladen und kaufen sich Zelte, Ewan trägt eine relativ günstige Rev’it-Jacke und (aha!) Daytona-Stiefel aus Niederbayern, Charley seine alte Belstaff-Jacke von Long Way Up. Es setzt sich fort beim Gepäck – statt Vollausstattung frei Haus vom Zubehörspezi setzt hier jeder auf unterschiedliches und es wirkt so zusammengewürfelt, wie bei jedem normalen Motorradreisenden auch. Übrigens: Das sind für viele sicherlich triviale Details, die mir allerdings beruflich bedingt einfach auffallen, ohne den Fernseher mit der Lupe abzusuchen. Und dann ist man auch schon wieder mittendrin – zwischen Ewans ziemlich oll wirkender Moto Guzzi California und Charleys frisch aufgehübschter BMW R 75/5. Die Message, die mitfährt und jeder noch aus Corona-Zeiten verinnerlicht hat: Auch vor der Haustür gibt’s viel zu entdecken.
Und das stimmt, ab der ersten Übernachtung am Fuße einer Windmühle in Holland (ja, wo auch sonst) war ich dabei. Mit besonderer Spannung habe ich den Besuch von Charleys Familie in Norddeutschland erwartet, wo sie spontan bei einem Fest vom Schützenfest landen und deutsche Hochkultur erleben dürfen. Dänemark und Schweden? Teils unerwartet schön, auch eine kurze Visite in einem UNICEF-Logistikzentrum bei Kopenhagen ist ein interessanter Nebenaspekt. Die landschaftlichen (und damit auch motorradfahrerischen) Highlights liegen dann eindeutig in Norwegen, Schweden und Finnland – inklusive Exkurs auf Svalbard. Und am Ende der Welt macht es auch nix, dass die Motorräder auf dem Festland bleiben mussten. Was den baltischen Staaten (die quasi alle in einer Episode abgehandelt werden) dann landschaftlich fehlt, machen sie durch die interessanten Einblicke in diese Länder wett, die zumindest für mich komplett neu waren. Mit jeder Grenze wird Europa mehr und mehr zum heimlichen Star der Serie – ein kulturell so vielseitiger, landschaftlich abwechslungsreicher und sicherer wie stabiler Kontinent mit nicht zuletzt genialen Straßen. Auf dem man mittlerweile mit halbwegs gutem Englisch wirklich überall durchzukommen scheint. Alles Punkte, die man als hier Aufgewachsener gerne mal vergisst oder als selbstverständlich erachtet. Was dagegen immer wieder auffällt, wenn ein Ausschnitt aus den 20 Jahre altem Erstlingswerk gezeigt wird (oder die Streamingqualität zwischendurch auf VHS-Niveau absackt), ist die videografische Opulenz. Die war schon beim 2020 erschienenen Long Way Up ein großer Schritt, hier kommen neben den mittlerweile schon gewohnten Drohnenaufnahmen auch die Aufnahmen von 360-Grad-Kameras zum Einsatz. Allerdings gilt auch hier: ein technisch hochaufgelöstes Foto ist nicht automatisch die bessere Aufnahme.
…aber irgendetwas fehlt
Im Intro (und auch zwischendurch) erzählen die Freunde, dass sie „der Nase nach fahren“ wollen. Trotzdem wirken viele der Besuche arrangiert, wie bisher auch, was mich eigentlich nicht stört. Eine traditionelle Sauna, eine Holzkirche aus der Wikingerzeit in Norwegen, ein Dragrace in Schweden, ein Rennen mit Schneemobilen auf einem See (der nicht gefroren ist), ein Baumhaushotel mitten im Wald, Einblicke in ursprüngliche estnische Familienkultur, Moto-Fußball, eine Bob-Bahn, das Pinballmuseum in Krakau… und seit Folge neun weiß ich auch, dass es in der polnischen Tatra auch Dudelsäcke gibt. Was mir jedoch ab der Hälfte der Serie zunehmend auffiel: Es plätscherte irgendwie alles so dahin. Für mich versinnbildlicht in einer Szene, wo Ewan und Charley in einem von Tausend finnischer Seen schwimmen und die Kamera gefühlt viel zu lange draufhält. Nach dieser Szene konnte ich langsam für mich formulieren, was mich immer mehr langweilte, auch wenn ich nach wie vor nicht mit dem Finger draufzeigen kann. Immerhin gibt es ein paar Beispiele – die erwähnte Schwimmszene, die minutenlange (weil vorgespulte) Suche nach einem hinter die Couch gefallenen Handy, die Einstellungen, in denen Ewans Frau und Sohn zu sehen sind, Charleys erstes Tattoo, eine See-Oper in Österreich und und und… viele derartige Szenen gab es „früher“ auch, aber dieses Mal waren sie mir oft viel zu lang und zu häufig, in der letzten Folge hat es mich schon regelrecht genervt. Ohne es mit der Stoppuhr verifiziert zu haben: Die eigentlichen Szenen von der Straße und des Unterwegs-seins, des Campings (das ja auch hier zigfach stattfand) haben gefühlt weniger Zeit gefüllt – vielleicht, weil es von langen Geradeaus-Etappen in Schweden oder Finnland eben auch nicht so viel zu zeigen gibt. Dass die alten Motorräder letztlich zuverlässiger als erwartet waren, dafür kann wohl niemand was. Die Hände sind zumindest oft genug ölverschmiert. Und niemand wird ernsthaft kritisieren, dass es bei dieser doch langen Reise „nur“ einen Sturz und einen Umfaller gab. Aber vielleicht muss man auch gar nicht weiter herumorakeln, vielleicht liegt der Hauptgrund für die flache Spannungskurve einfach in der Reiseroute begründet.
So oder so. Irgendwann kamen mir alle Sequenzen aus dem Intro bekannt vor, und irgendwann wusste ich: Da wird jetzt auch nicht viel mehr kommen. Auch in den letzten Teilen fehlten mir die emotionalen Hoch- und Tiefpunkte. Alles zog so vorbei und löste immer weniger Vorfreude auf die nächste Episode aus. Selbst das zwanzigjährige Jubiläum, das man nun nicht in den Mittelpunkt stellen sollte, hätte mehr als ein paar kurze Erwähnungen verdient – spätestens als das Team die Reiseroute von 2004 kreuzt und ein Schloss in der Slowakei besucht, bei dem sie vor 20 Jahren schon waren. Auch das war verständlicherweise ein ansatzweise emotionaler Moment, aber auch da wollte bei mir nichts rüberkommen. Nur ein weiterer Termin, der immerhin mehr Tiefe hatte, als der Besuch bei einem Schweizer Künstler oder dem obskuren Bernsteinfischer in Litauen. Die letzten Momente in der Schweiz und Frankreich waren dann auch nur noch dokumentarischer Natur. Als die Truppe bei Charleys Zuhause in der Nähe von London eintrifft, ja, da ist es halt dann so unspektakulär vorbei, wie es schon über weite Strecken war. Wobei, nicht ganz, denn die letzten Minuten dürfen wir Ewan noch in einem VW Käfer nach Schottland begleiten, mit der Guzzi auf dem Hänger. Das macht es auch nicht besser. Während frühere Teile mit einer großen Party endeten und eine kleine Rückschau auf die gerade zu Ende gegangene Reise selbst Zuschauer wehmütig, aber auch glücklich zurückließen, geht hier am Schluss einfach Ewans Garagentor zu. Und dann läuft auch schon der Abspann. Uff. Ende der Auslassungen eines enttäuschten Fanboys.
Versuch eines versöhnlichen Fazits
Unterm Strich ist auch Long Way Home eine sehenswerte Reisedoku, die vor allem vom charismatischen Duo Ewan und Charley lebt und den Dingen, die sie auf der Reise erleben – gerade weil man als Mopedfahrer genau weiß, wie es ist, stundenlang im kalten Regen zu fahren. Oder auf traumhaften Pässen im Fahrflow zu sein. Oder das blöde Gefühl kennt, wenn das Motorrad seltsame Geräusche macht. Und das schöne Gefühl, mit viel Zeit im Gepäck in fremden Ländern unterwegs zu sein. Das kommt alles rüber und alles, was auf dem Bildschirm zu sehen ist, könnte man auch ohne Produktionsteam so erleben, vielleicht noch einfacher, als bei den früheren Reisedokus. Also, „objektiv“ und frei von Fan-Vorstellungen: Die Mission, Bock aufs Reisen zu machen, wird erfüllt. Die Serie weckt Fernweh für die Klassiker in Skandinavien, aber auch für die noch exotischen Baltenstaaten oder auch Polen, das man als Motorradreisender nicht unbedingt auf dem Schirm hat. Und warum sollen Fans wie ich die Reiseroute und die Motorräder diktieren, bloß um daheim etwas mehr passiv-Reisespaß genießen zu können. „Bitte so wie letztes Mal, nur noch besser, aber ändert bitte nicht zu viel. Fahrt am besten hier und dort und nehmt doch dieses Mal diese Motorräder! Ach ja, und bitte dieses Mal wieder auf DVD, weil ich hätte gern was im Regal stehen…“ Was aber auch gesagt werden muss: Der Vergleich mit früheren Serienteilen und dem teils sehr guten Angebot, das heute gratis im Netz zu finden ist, fährt immer mit. Schon allein deshalb, weil die Zuschauer zu Beginn jeder Folge daran erinnert werden, was den Reiz der früheren Serien ausgemacht hat. Da reichen schon die wenige Sekunden langen Ausschnitte. Ist es an dieser Stelle unfair zu erwähnen, dass es zur ersten und zweiten Serie dann auch noch Bonusmaterial, hervorragende Bücher und die Soundtracks auf CD gab? Und nichts davon aufgeblasene Geldmacherei war, sondern wirklich wertvolle Ergänzungen? Hmm. So hinterließ Long Way Home in mir ein nicht ganz greifbares Gefühl der Enttäuschung. Und deshalb auch null Skrupel, das dafür benötigte Apple-Abo sofort wieder zu kündigen. Wenn es davon noch eine DVD gäbe, würde ich sie mir aber trotzdem in die Sammlung stellen. Meine Favoriten, die dank mittlerweile einsetzender Nostalgie auch nur noch besser werden, bleiben aber mit deutlichem Abstand Long Way Round und Long Way Down.
Mehr Infos zu Long Way Home (sowie allen anderen Teilen) gibt es auf der offiziellen Webseite.
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