Expedition Master

Normalerweise schreibe ich hier nicht über die Dinge, die ich in der Redaktion erlebe. Aus verschiedenen Gründen. Aber in diesem Fall kann ich nicht anders. Und da es ein Aspekt ist, der in einer MOTORRAD-Geschichte nicht unbedingt etwas verloren hat, gebe ich es hier zum Besten. Auch wenn ich dabei über das größte Privileg schreiben muss, dass ich in meiner bisherigen Karriere erleben durfte: Eine On-/Offroad-Tour in Island. Obacht: Da Profi-Fotografen dabei waren, gibt es vorab nur Handyfotos. Was für das, was ich erzählen möchte aber nicht einen allzu großen Unterschied machen dürfte.

Wo bin ich denn hier gelandet?

Alles ging los mit einer kurzfristigen Einladung, die uns über Ducati erreichte und schließlich bei mir landete. Ducati bietet in Kooperation mit Dainese (und Pirelli, der Vollständigkeit halber) die „Dainese Expedition Masters“ an – geführte Touren an Traum-Orten als All-Inclusive-Paket. Im Preis enthalten ist sogar ein komplettes Dainese-Outfit. Nachdem solche immer seltener werdenden Traum-Einladungen in den letzten Jahren immer an mir vorbeigingen (Marokko und Ladakh waren solche Gelegenheiten), hat es dieses Jahr gepasst. Und mit einem Vorlauf von rund zwei Wochen hatte ich nicht einmal Zeit, Vorfreude zu entwickeln.

Die stellte sich erst kurz vor Abflug ein, allerdings bremste das für 4 Uhr 30 bestellte Taxi die Euphorie gleich wieder. Ich war schlicht zu müde (und zu gestresst, vor allem wegen des für mich mit vielen Fragezeichen versehenen Check-Ins meines Riesenkoffers), um mich zu freuen. Eine aufkommende Erkältung, der fehlende Schlaf der letzten Tage und Kopfweh machten es auch nicht besser. Aber vom Flugzeug aus gesehen konnte ich schon erahnen, was da auf mich zukam. So langsam traute ich mich, etwas aufgeregt zu sein. Natürlich weiß man ja heutzutage dank Google Earth und Street View irgendwie schon, wie die Welt aussieht. Zumindest denkt man das. Gleichzeitig war ich auch nervös. Wer mich kennt, weiß, dass ich mich beim Motorradfahren und gerade beim Geländefahren immer schlechter einschätze, als ich bin. Und ich mir trotz zwei Endurotrainings, eines ganztäglichen Individualtrainings und mittlerweile doch einigen Kilometern auf unbefestigten Pisten nicht so richtig viel zutraue. In diesem Fall hatte ich keine Wahl – auch wenn die Einschätzung der Schwierigkeit von „easy“ bis zu „4 von 5“ reichte. Die übliche Spreizung also, die sehr von demjenigen abhängt, der sie äußert. Egal. Wird schon.

Schon auf der Taxifahrt in die Hauptstadt klebte ich praktisch an der Scheibe und bewunderte die filmreifen Landschaften, die, oh Wunder, auch Kulisse für zig Filme waren. Am nächsten Tag ging es nach gut 100 Kilometern durch karge Landschaften auch schon auf die erste Piste. Schon jetzt merkte ich, dass sich die Landschaft mit einem Wimpernschlag ändern kann. Krass. Durch das abendliche Briefing unseres Tourguides waren wir außerdem zumindest mental darauf vorbereitet, zig Flüsse und Furten zu durchfahren. Das kann ja heiter werden. Alle Mitfahrer (hauptsächlich aus Italien, aber auch USA, Tschechien und der Türkei) waren übrigens auch das erste Mal auf Island und es überraschte mich, dass sich das fahrerische Niveau als relativ homogen herausstellte.

It’s getting serious, right?

Schon die folgenden Kilometer waren einfach genial. Es war Ende Juli, hatte zwischen zehn und 13 Grad Celsius, was in den dünnen Endurohandschuhen zwischendurch auch unangenehm war, vor allem, weil die meisten der Ducati DesertX keine Heizgriffe hatten und die Pausen, um seine Patschen am Motor zu wärmen, ziemlich kurz waren. Apropos: Die DesertX war ein weiterer Grund, weshalb ich ein wenig nervös war. Ich war sie zwar schon gefahren, aber nur auf der Straße. Ich wusste, dass das Motorrad im Gelände sehr viel kann. Ich wusste aber nicht, ob ich mit der angeblich sportlichen Charakteristik klarkommen würde. All diese Sorgen sollten sich zum Glück schnell als unbegründet herausstellen… Schon jetzt wechselte die Landschaft ständig ihr Gesicht. Kaum hatte man ein paar Eindrücke registriert (von verarbeiten kann keine Rede sein), änderte sich schon wieder alles. Sind wir hier auf dem Mond? Ich wusste schon jetzt, dass ich das Wörterbuch wohl lange wälzen müssen würde, um halbwegs passende Adjektive zu finden.

Karg-bizarr-surreal-außeridisch-unbeschreiblich

Bald stand die erste Wasserdurchfahrt an, was spielerisch ging. Nach der zehnten hörte ich auf zu zählen. Aber U-förmige Furten, Schläge am Lenker, rutschige Steine und das Beobachten der strauchelnden Vorausfahrenden sorgten immer dafür, dass der Puls hoch blieb. Inklusive Gedanken wie „oh shit, jetzt falle ich“, nur um die Fuhre dann doch noch ans andere Ufer zu bekommen. Ähnlichen Nervenkitzel bereiteten die tiefsandartigen Stellen, die sich selten in die doch eher geröllige Lavalandschaften mischten und schneller vorbei waren, als man sich darauf vorbereiten konnte.

Mitten im Nirgendwo

Snacks und Kaffee aus dem Support-Truck mitten im Nirgendwo, nette Gespräche und 150 Offroad-Kilometer machten den ersten Tag schon zum frühen Highlight. Und abgesehen von zwei kompletten Regentagen, die wir für immerhin Sightseeing nutzten, war der ständige Niesel total egal. Was besonders hängen blieb, waren die bombastischen Landschaften, die ich aufsaugen wollte. Am zweiten Tag setzte ich mich bei einem Stopp nach den obligatorischen Handyfotos hin. Bewusst ein wenig abseits der Gruppe, die sich hier sowieso verlief. Abgesehen davon war relativ viel los – man glaubt nicht, was für aufgemotzte und höhergelegte Sprinter und Reisebusse hier unterwegs sind. Aber auch normale 4×4 Dacia Duster. Diese dienten mir beim Blick in die weiten Landschaften als kleiner Bezugspunkt, das Reifenknirschen als eines der wenigen Geräusche, die man vernehmen konnte. Ich saß da bestimmt zehn Minuten, die ich nur in dieses verrückte Gemälde starrte. Und an ein paar Songs von Sigur Rós dachte, die hier sicherlich perfekt passen würden.

Seit wann macht meine Handykamera so gute Bilder?

Und so ging es weiter – durch abgefahrene Panoramen, durch die ich stellenweise mit 80 oder 90 Sachen stehend brauste. Ich wusste nicht, wann ich jemals so viel Spaß beim Motorradfahren hatte – alle Zweifel, die mich immer mal wieder heimsuchen, waren wie weggeblasen. Eine Reiseenduro auf wilden Pisten durch Island zu fahren war genau das Richtige, das ich ausnahmsweise mal vor Ort genießen konnte, und nicht erst Wochen später in der Retrospektive.

Selbst die Onroad-Passagen waren zwischendurch magisch. Etwa, als sich der fetteste und gleißendste Regenbogen links von uns auftat, den ich je gesehen habe. Oder als sich der Dauerregen am Abend lichtete und die ständig wechselnde, teils wüstenartige und nicht enden wollende Landschaft in ein weiches, warmes Licht hüllte. Nur der ständige Seitenwind und gefühlt zehn Grad Schräglage bei Geradeausfahrt verhinderten, sich darin komplett zu verlieren. Ein Traum, und ich war mittendrin. Dass es abends um 10 noch fast taghell war, passte da nur allzu gut.

Das Tageslicht ist hier mal nicht der limitierende Faktor (@ 22 Uhr)

Da der letzte Tour-Tag leider wieder in kompletten und kalten Dauerregen fiel, blieb der vorletzte Tag das Highlight. Und was für eins. Wir waren unterwegs zum Laki-Krater – ein weiterer Vulkan inmitten unwirklicher Landschaften. Auf dem Hinweg waren die Flüsse so hoch, dass sie teils nur von Tourguide Luca im Pendelbetrieb befahren wurden. Egal – wir waren oft genug selbst dran, was bei den rutschigen Steinen und teils tiefen Gräben links und rechts der korrekten Route herausfordernd genug war.

Wie wärs, wenn wir die Schwierigkeit noch erhöhen? Mit einer Kurve im Fluss zum Beispiel

Der besondere Ort, den wir an diesem Tag fast für uns hatten und der inmitten einer schwarzen Lavasandwüste lag, war alle Mühen wert. Auch unsere insgesamt 18 Kopf starke Truppe verlief sich schnell, und so hatte ich den Laki-Krater kurz ganz für mich. Es war so still, wie in einem Tonstudio. Kein Wind, kein Geräusch, kein gar nichts. Unbegreiflich. Wenn es so etwas wie Kraftorte geben sollte, dann war dieser hier ein ganz großer. Ein Ort, an dem man sicher alle Probleme der Welt verhandeln und sicherlich auch lösen könnte.

Der oder ein Laki-Krater? Jedenfalls ein beeindruckender Ort

Der Rückweg war jedoch das, was mir fast genauso stark in Erinnerung bleibt. Denn was ich am Vormittag schon genießen konnte, wurde auf dem Rückweg zur Perfektion. Die Piste schlängelte sich scheinbar unendlich durch diese moosbewachsene Pampa. Links und rechts, hoch und runter. Viele Schlaglöcher, tiefere Schotterfelder, fester Lehmboden, sandige Passagen, kleinere Flüsse, alles Mögliche, bis auf Tiefsand oder Schlamm. Und ich? War im Flow wie noch nie, fühlte mich zwischendurch wohl zum ersten Mal vom Vordermann ausgebremst, verlagerte ständig bewusst mein Gewicht, lehnte mich etwa bergab nach hinten, ließ den Lenker locker und flog geradezu über den Schotter. Bergab und Schotter? Da hätte ich mir früher hin und wieder in die Hosen gemacht. Bergauf genauso. Blick hoch, Zähne zusammenbeißen und Gas geben, nur um Kurz vor der Kuppe abzubremsen um ganz kontrolliert oben anzukommen, statt darüber mehr oder weniger hinwegzuschießen. Ich steuerte mit den Rasten, hielt den Lenker wie die berühmten Eiswaffeln und genoß jeden Meter im oder über dem Sattel der Ducati DesertX. Ich habe mich noch nie so kompetent beim Motorradfahren gefühlt – und das zu merken, verstärkte den Fahrspaß nochmal mehr. Ich hätte noch Stunden so weiterfahren können. Aber nach 105 unvergesslichen Kilometern waren wir wieder auf der Straße und schalteten zurück in den „Touring“-Fahrmodus.

Gibt’s ein besseres Gefährt, um das grün-schwarze Hügelmeer zu erkunden?

Als ich dann zwei Tage später auf Platz 28D der Boeing saß, konnte ich das alles nicht wirklich verdauen. Freute mich sehr auf daheim und war gleichzeitig traurig, nicht noch mehr Fahrtage mit neu gewonnenen Fahrfreunden genießen zu können. In den kommenden Nächten träumte ich immer irgendetwas von Island, den Pisten durch diese Mondlandschaften oder den von Touristen umströmten Hotspots wie den Wasserfällen, die uns gerade getrockneten Motorradfahrer wieder nass machten. Noch nie dauerte es so lange, bis ich Zuhause angekommen war. Und noch nie war ich so stolz auf eine Urkunde, die man ja bei so gut wie jedem Motorrad-Training und -Event mitbekommt. Ich dachte davor, dass „Expedition Master“ ein cooler Name für diese Tour war, aber auch etwas dick aufgetragen. Es war schließlich eine geführte und begleitete Tour. Aber mit jedem abgeschlossenen Tag hatte ich das Gefühl, mir diesen Titel auch zunehmend selbst zu verdienen, der da auf dem Tank meiner Leih-Ducati klebte. Das ist sicher im Sinne des Erfinders. Oder auch nicht. Oder etwas pathetisch. Und jeder, der sowas vor 30 Jahren mit dem eigenen Motorrad unternommen hat und allein schon die drei Tage Anreise auf der Fähre überstanden hat, hätte den Titel wohl mehr verdient als ich Pauschal-Motorradtourist. Aber das ist mir ausnahmsweise mal egal – denn gefahren bin immer noch ich. Und am Ende dieser Woche hatte ich das Gefühl, nicht nur diese „Expedition“ gemeistert zu haben, sondern auch meine Ängste, Bedenken und falsche Bescheidenheit. Und das ist ein Gefühl, von dem ich mindestens genauso zehren werde, wie von der Schönheit dieser Insel.

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