Vier minus X

Die aktuelle Weltlage, Altersvorsorge, gesunde Ernährung, modernes Webdesign – in der vielen Zeit, in der meine Gedanken um die 650 Xchallenge und deren Verkauf rotieren, hätte ich mich auch über wichtigere Themen informieren können. Würde ich das Folgende bei Insta und Co. posten, gäbe es vielleicht einen kleinen Shitstorm – und vielleicht zurecht. Aber im Safe-Space meines Blogs ist Raum für eine therapeutische Schreibsession. Es geht um das Luxusproblem, das alle kennen dürften, die mehr als ein Motorrad in der Garage stehen haben: Mit jedem weiteren Motorrad wächst auch der Aufwand, sich um all das zu kümmern. Bringt ein Verkauf die erhoffte Erlösung? Oder das große Bereuen?

Should I stay or should I go? (Wie immer verrät die Frisur: Das ist ein Foto aus einfacheren Zeiten)

Man könnte das abkürzen – „Hast du sonst keine Probleme?“. Doch, doch. Pragmatiker könnten auch abkürzen. Verkaufen. Ich werde nach 652 Wendungen, 21 Pros, 18 Contras (oder andersrum?) und 53 Argumenten in Siebentausend Zeichen zum selben Schluss kommen. Womöglich. „Die werde ich freiwillig nie mehr verkaufen“ – das habe ich nicht nur hier mehrfach geschrieben, sondern in den letzten Jahren auch Kollegen/Bekannten/Freunden erzählt. Genauso wie es im Podcast aufgezeichnet wurde und im Zweifel gegen mich verwendet werden kann. Warum? Der Einzylinder ist ein fast schon edler Exot, ein Motorrad, das es heute einfach nicht mehr geben wird. Höchstens in hochgezüchteter Form in Orange, Weiß oder Rot, schon klar. Doch die BMW war und ist eine wunderbare Kombination aus Zuverlässigkeit, Gelände- und Straßentauglichkeit, Gewicht, Leistung und und und und. Als Gegensatz zu meiner komfortableren, vielseitigeren aber auch schwereren Zweizylinder-GS war ihre Position in Garage, Fuhrpark, Herz und Hirn unantastbar. Ja, viele Ersatzteile gibt’s nimmer, ja ja, aber solang ich die 650er nicht einen Abhang runterschmeißen würde, sollte es ja kein Thema sein. Die Versorgung mit Verschleißteilen ist ja soweit gesichert. Jeder Gedanke, das Motorrad zu verkaufen, war in dem Moment vorbei, als ich mal wieder den ersten Kilometer damit zurückgelegt (und mich an den strammen Kupplungszug gewöhnt) hatte. Boa wie handlich, boa wie kräftig, boa wie schlank. Mehr braucht man doch gar nicht, wie sogar schon auf mehreren Reisen bewiesen. Also ganz klar: Behalten.

Was hat sich jetzt geändert? Die Duke schaffte es erstmals, diese vermeintlich zementierte Rolle in Frage zu stellen. Als ähnlich kräftiger, noch leichterer Einzylinder wurde sie seit ~ 2023 zumindest auf bzw. für die Straße zur ernsthaften Konkurrenz. Allerdings: Mir fehlte bislang die Zeit, so richtig Vertrauen aufzubauen. Und abgesehen davon: So reisetauglich wie die BMW dürfte sie nie sein. Insofern konnte die Xchallenge ihre Position halten. Doch mit Duke und auch R 1200 GS gesellten sich im Laufe der Jahre zwei Motorräder dazu, die unabhängig ihrer Konzeption für mich unverkäuflich sind. Aus ähnlichen Gründen. Natürlich nicht „Die-Bank-pfändet-sonst-Haus-und-Hof“-unverkäuflich. Aber mit einer sehr hohen Hürde. Und dann kam die HP 2 ins Spiel. Das vierte (und dritte definitiv unverkäufliche) Fahr-Zeug. Und eines, das konzeptionell am stärksten in die Nische stößt, in der die Xchallenge bislang so fröhlich verweilen konnte. Und damit nahm das Thema so richtig Tempo auf. Tja, sag niemals nie, oder?

Seitdem kreisen meine Gedanken. Kreisen, weil sie immer zum selben Schluss kommen: Bei allen Qualitäten, bei all den Erinnerungen an die erste Fährüberfahrt von Italien nach Griechenland, die führerscheingefährdende Abholung mit dem Hänger, den ersten DIY-Reifenwechsel, den Sturz vom Hänger, Assietta-Kammstraße, das in den Flur vom Ferienhaus parken… es reicht alles nicht. Egal wie groß die Verbundenheit ist und war, letztlich bleibt die Xchallenge immer das Motorrad, was ich am ehesten verkaufen würde. Was die ganze Sache eigentlich ziemlich einfach macht. Und gleichzeitig wieder ziemlich kompliziert. Schon die Tatsache, dass ich sie dieses Jahr rundum gewartet habe, inklusive Kühlflüssigkeit und frischer Reifen, um sie für ein Offroad-Event fertig zu machen. Ist das jetzt ein Grund um sie zu behalten? Oder ist das jetzt der Grund, sie zu verkaufen?

Eigentlich finde ich Entscheidungen sehr befreiend. Bei der Causa Xchallenge will mir das bis jetzt nicht gelingen. Ich habe mich schon oft entschieden (dachte ich zumindest), nur um wieder von vorne anzufangen. Wollte sie behalten, weil sie ja nur wenig mehr Arbeit macht und die laufenden Kosten überschaubar sind. Eh schon wurscht. Wollte sie verkaufen, weil sie nun mal trotzdem Arbeit macht und trotzdem bissl Geld kostet. Und langes rumstehen für Motorräder ja nie besonders förderlich ist, für die Xchallenge und alle anderen. Kollektivstrafe sozusagen. Soll doch jemand anders damit Spaß haben und ich habe weniger Skrupel, mir eine schöne Siebträgermaschine zu kaufen. Außerdem würde sie vielleicht Platz für eine kleine Elektro-Enduro machen, mit der man ganz anders (bzw. vor allem legal) fahren könnte. Klare Sache, oder?

Und so rücke ich seit Wochen Millimeter um Millimeter Richtung „Verkauf“ vor, habe mich klar „entschieden“, nur um mitten in der Nacht total erleichtert zu sein, sie noch nirgendwo inseriert oder irgendwem versprochen zu haben. (Es liegt immerhin nicht am Moped, dass ich im Moment nachts öfters aufstehen muss, so schlimm ist es noch nicht…). Was bei aller Rationalität und Irrationalität auf der „Behalten“-Seite übrig bleibt, verdeutlicht das Titelbild des Touratech-Katalogs 2007. Oder andere Bilder aus der Zeit, wo HP 2 und G 650 X Seite an Seite stehen. Also der Gedanke, gleich zwei Enduro-Exoten einer besonderen Ära bei BMW zu besitzen. Und eine super leichte Umbaubasis für Trips nach wo auch immer. Da könnte ich am Motorradstammtisch punkten, wenn ich einen hätte. Aber Besitz verpflichtet eben auch. Und da ich mich in so gut wie jedem Reise-Szenario (selbst auf TET und Co.) für die HP 2 entscheiden würde, ist die Sache eigentlich auch wieder klar. Simplify your life. Wo kommt die 650er denn hin, wo eine HP 2 nicht hin kommt? Und wenn „Behalten“ sich in den letzten Monaten nicht wie eine Entscheidung angefühlt hat, dann bleibt „Verkaufen“ wohl die einzige Option.

Um das hier irgendwie zu einem Ende zu bringen: Ich glaube, dass ich mich von der Xchallenge trennen werde. Trennen werden muss. Vielleicht werde ich es bereuen. Denn neben einem gewissen Besitzerstolz steht die 650er für eine andere, eine schöne Phase meines Motorradlebens, für erste längere Reisen und vieles mehr. Aber alles hat seine Zeit, oder? Den Verkauf der Sertao, meines ersten Mopeds, bereue ich ehrlicherweise auch nicht. Was die Erinnerung daran ja nicht schlechter macht. Und natürlich hätte ich gerne eine in der großen Sammlung stehen. Aber wozu. Das gedankliche Hintertürchen „Vorkaufsrecht“, dem man sich dann vermutlich sowieso nie wieder nähert? Nein. Ich würde sie vermutlich weniger vermissen, als ich zugeben möchte. In Summe eine Lektion, dass im berühmten Bond-Titel auch eine Wahrheit liegt. Wer bis hier kopfschüttelnd mitgelesen hat: Sorry. Doch das Schreiben und Veröffentlichen dieses Beitrags hat geholfen, gedankliche Knoten zu entwirren und zu einer Entscheidung zu stehen, die ich eigentlich schon lang getroffen habe. Der für mich beste Einzylinder aller Zeiten wird künftig jemand anderem die Hände massieren. Was bleiben wird, ist ein besonderer Platz in meinem Herzen, ein bisschen Wehmut, aber bestimmt auch Erleichterung.

Bitte sentimentale Klaviermusik und Sonnenuntergang dazu denken

Update

Sag niemals nie – das war der Arbeitstitel dieses bahnbrechenden Beitrags. Tja, um das ganze endgültig ad absurdum zu führen: Mit dem ersten konkreten Angebot im Bekanntenkreis setzte dann doch wieder ein Umdenken ein. Und nachdem sich das doch wieder schnell erledigt hatte, war mir in der gleichen Sekunde klar: Ich behalte die 650er. Zumindest solange ich mir das leisten kann. Um zumindest die (eigentlich eh geringen) laufenden Kosten zu reduzieren, nutze ich den jüngsten Umzug, sie (und die Duke) doch auf Saisonkennzeichen umzustellen. Da kann ich drüber stehen. Spart in Summe immerhin gut 100 Euro und ich habe dann ja immer noch zwei Mopeds, die ich im Dezember, Januar und Februar nicht fahren werde, aber könnte. Damit habe ich jetzt wohl wieder viel Lärm (oder Zeilen) um nichts produziert, aber ich denke, dass auch das zur Ownership-Experience gehört.

Auf viele weitere schöne Erlebnisse

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